Die wilde Mathilde vom Pilgrim

Klaus A.E. Weber

 

Rothaarige Köhlerstochter und Naturkind

 

Dem Einbecker Tageblatt vom 14. März 1933 ist unter dem Titel "Die gr. [große] Hildesheimer Stiftsfehde" die folgende spannende Sage aus dem beginnenden 16. Jahrhundert zu entnehmen.

Die von H. W. MÜLLER nacherzähle Geschichte handelt von einer Köhlerstochter und Marketenderin - der „Wilden Mathilde vom Pilgrim“.

 

"Die vorhin erwähnten Marschdispositionen wurden noch in letzter Stunde umgestoßen und zwar durch das Dazwischentreten eines Frauenzimmers, das als Marketenderin mit einer Kolonne braunschweigischer Söldner in Amelungsborn eingetroffen war.

Der Sage nach hieß dieses Mädchen – Die wilde Mathilde vom Pilgrim -.

Sie war die Tochter eines Köhlers von dem zwischen Heinade und Hellenthal im Walde versteckt liegenden Weiler Pilgrim, ein hübsches, frisches Sollinger Naturkind mit üppigem brandrotem Haar und funkelnden blaugrauen Augen, dabei temperamentvoll und angriffslustig wie eine Wildkatze.

Mathilde war vor Ausbruch des Krieges auf Hunnesrück im Hause des Burgherrn von Meisenburg bedienstet gewesen und vor der edelgesinnten Burgfrau wie ein eigenes Kind behandelt worden.

Hier hatte sie dann einen jungen Rittersmann, den Enkel der Burgherrschaft, Klaus Barner kennen gelernt und sich blindlings in denselben verliebt.

Da dieser vornehme Jüngling aber kein Verständnis für ihre zarten Gefühle zeigte, zumal er auch schon mit einem ebenbürtigem Ritterfräulein versprochen war, schlug ihre wilde Leidenschaft in ebenso ungezügelten Haß um.

Es war ihr bekannt, daß der Junker in den Reihen des Bischofs kämpfte.

Deshalb verschaffte sie sich die Stellung einer Marketenderin im herzoglichen Lager, hoffend, irgendwo und irgendwie die Gelegenheit zur Ausführung ihres Racheaktes zu finden, entweder an ihm selbst oder zumindest an seiner Sippe.

Zunächst wollte sie jetzt mithelfen, die großelterliche Burg Hunnesrück zu vernichten.

Bestärkt wurde sie in diesem Vorsatz dadurch, daß sie während ihres Aufenthaltes im Kloster Amelungsborn einen alten Bekannten aus Mackensen wieder traf, der jetzt Laienbruder und Pförtner im Kloster war.

Diesen Bruder gewann die schlaue Mathilde dadurch für ihren Plan, daß sie in der Nacht im Pförtnerhaus mit ihm schön tat und ihm von ihrem guten Einbecker Bier reichlich zu trinken gab.

Heinrich Kumlehn – so hieß dieser Landsmann – verriet ihr, daß die Burg von der Höhe des dahinter liegenden Hatops aus zu beschießen und leicht zu erobern sei, und beschrieb ihr auch genau den Waldweg zur Kuppe des Berges.

Mit Feuereifer nahm die Wildkatze diese Auskunft in sich auf.

Am anderen Morgen ließ sich Mathilde bei den Herzögen melden und entwickelte diesen ihren Plan.

Die beiden Fürsten, obgleich über das Frauenzimmer sehr verwundert, ließen sich doch durch dessen hinreißende Schilderung bestimmen, dem Vorschlag zu folgen und den Rückmarsch anzuordnen.

Mathilde schloß sich dem Zuge an.

… hatten die vor Hunnesrück zur Belagerung zurückgebliebenen 50 Mann herzogliche das bischöfliche Dorf Mackensen arg heimgesucht:

die Kirche, das Rathaus und eine Mühle ließen sie in Flammen aufgehen, weil mehrere Bauern, besonders die sieben Gebrüder Heise vom Kirchboden aus die Soldaten mit Steinen bombardiert hatten.

Viel Vieh und sonstige Lebensbedürfnisse wurden als Beute mitgenommen.

Vor ihrem Ziele angelangt, bemächtigte sich plötzlich der wilden Sollinghexe doch ein Gefühl der Reue beim Anblick des schönen Schlosses, in dem sie einst so viel Gutes genoß und das durch ihren Verrat vernichtet werden sollte.

Dann aber, als sie das Rauschen des Brunnens vernahm, an dem sie sich vor dem stolzen jungen Ritter einst erniedrigt und dieser sie verschmäht hatte,

… der böse Dämon wieder in ihrer Brust, und mit einem teuflichen Hohnlachen schwang sie sich auf ein Roß und stürmte mit flatternden Haaren wie eine Furie dem jungen Herzog Heinrich und Gefolge voran durch das Tal des Spüligbaches und sumpfige Waldschluchten zur heiteren Höhe des Hatops hinauf.

Da selbst angekommen, ward der Herzog freundig überrascht, denn sein geübter Feldherrnblick erkannte sofort, daß von hier aus die Feste Hunnesrück leicht zu bezwingen wäre.

Unverzüglich wurden die Geschütze herbeigeschaft, die dann ihre vernichtenden Feuerkugeln ausspien.

Am nächsten Morgen musste der greise Schloßherr Philipp von Meisenburg die zertrümmerte Burg Hunnesrück den Herzögen übergeben.

Die wilde Mathilde vom Pilgrim hatte ihren Zweck erreicht …"