Kulturhistorisches Zeugnis eines Kalkofens

Klaus A.E. Weber[

 

Nach TACKE [7] wurden in der Landschaft im Solling Kalk und Gips "an vielen Stellen im Feldbrande oder in einfachen Öfen gebrannt".

Dabei habe bei Derental "einer der ältesten Kalköfen" gestanden, der erstmals 1603 erwähnt worden sei.[7]

In der kartografisch wie historisch bedeutenden Sollingkarte von Johannes Krabbe aus dem Jahr 1603 ist „Am Beissenberge“ unweit von „Derendal“ am Waldrand an einem Bachlauf mit kreuzendem Straßenverlauf ein „Klach Ofen“ (Kalchofen, östl. Derental) verzeichnet.[8]

Der durch Solling nach dem Amt Fürstenberg führende "Kalkweg" sei nach diesem frühneuzeitlichen Kalkofen benannt worden.[7]

Ein alter Kalkofen habe sich auch bei Heinade befunden.[9]

Im Zusammenhang mit Merxhausen im Amt Allersheim führen 1803 HASSEL/BEGE [13] in der Beschreibung, die „Sr. Herzoglichen Durchlaucht Herrn Karl Wilhelm Ferdinand regierendem Herzoge zu Braunschweig=Lüneburg unterthänigst gewidmet“ ist, kurz aus, dass "am Eingange zum Sollinge" in einem Ofen Kalk gebrannt wird.

 

Archäologisches Relikt einer Kalkbrennkammer

von überregionaler Bedeutung

 

Besucherfreundliche Anlage mit Schutzhütte

Oktober 2013

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Im Randgebiet des Nordostsollings, nahe bei Merxhausen, wurden im April 2013 bei böschungsnahen Baggerarbeiten der Revierförsterei Merxhausen Reste eines historischen Kalkofens als Hangeinbau entdeckt [1], freigelegt und archäologisch orientierend erkundet.[10]

Der Bodenaushub mit baulichen Resten des Brennofens und Branntkalk wurde in der Nähe der Fundstelle an einem am Böschungsrand des Seitentals "Steinlade" abgelagert, der inzwischen völlig überwachsen ist.

Es fällt auf, dass die Fundstelle gegenüber dem Standort einer mittelalterlichen Waldglashütte der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts lokalisiert ist.[4]

Interessanterweise hatte mit handschriftlichen Eintragungen in einer Geländekarte von Merxhausen Detlef Creydt am 12. März 2002 die Standorte dreier Hügel („Hügel 1-3“) im Umfeld der Quelle skizziert mit der Vermutung, dass es sich hierbei um mittelalterliche Glasofenstandorte handeln würde, da er südlich der Hügel im Bachverlauf Hafenscherben sowie eine Hafenrandscherbe und eine Glasscherbe des 12./13. Jahrhunderts gefunden habe.[11][12]

 

 

Skizze (Hügel 1-3) von Detlef Creydt │ März 2002

 

Der vorgefundene Kalkofen ("Hügel 2"?) wurde vermutlich im Zeitraum spätes 18. bis Ende 19. Jahrhundert im alten Forstrevier Merxhausen von örtlichen Kalkbrennern betrieben, in der Nähe des mittelalterlichen Bauerndorfes Merxhausen.

Weitere Kalköfen dürften in unmittelbarer Umgebung des freigelegten Brennofens in dem wasserreichen Quellgebiet der topografisch günstigen Flur „Steinlah“ bestanden haben.

In deren Umfeld sind noch heute Geländespuren des Abbaus lokaler Muschelkalke auszumachen.

Ohnehin wird seit alters her das Fundstellenareal volkstümlich in Merxhausen als „Kalkofen“ oder als "Kalkofen-Quelle" bezeichnet.

 

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Der archäologische Befund

Bei fehlender Frontseite des freigelegten Kalkofens ist obertägig die angeschnittene Innenwandung der Rückseite eines schichtweise aus Sandsteinen (Buntsandstein, Solling) rund gemauerten Brennofens mit einem Innendurchmesser von 3,15 m [5] erhalten geblieben.

 

⊚ Zum Anklicken

Archäologischer Befund │ April 2013

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Neben dem Erhalt des freigelegten Kalkbrennofenrestes Hangeinbau wird hier seine weitere archäologische Untersuchung eine wesentliche Aufgabe des Heimat- und Geschichtsvereins für Heinade-Hellental-Merxhausen e.V. in Zusammenarbeit mit der Archäologischen Denkmalpflege des Landkreises Holzminden (Kreisarchäologie) sein.

 

Tafelausschnitte aus Diderots Enzyklopädie

Bildtafeln 1762-1777 [2]

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Die sichtbare, gleichmäßig blau-grüne „Oberflächenverglasung“ ist auf das beim Kalkbrennen entstandene Erhitzen des Quarzsandes (Siliciumdioxid, SiO2) in den vermauerten Buntsandsteinen zurückzuführen.

 

Schutz und Information

Zum Witterungs- und Objektschutz des regional einmaligen archäologischen Zeugnisses errichtete dankenswerterweise das Forstrevier Merxhausen [1] im Jahr 2014 eine hölzerne Einhausung.

Eine Informationstafel des Heimat- und Geschichtsvereins für Heinade-Hellental-Merxhausen e.V. beschreibt anschaulich die Fundstelle als Hangeinbau sowie die kulturhistorische Bedeutung und Funktionsweise der neuzeitlichen Kalkofenanlage – direkt gelegen an dem Weserbergland-Wanderweg (blaues XW auf grünem Grund).

Die öffentliche Einweihung des historischen Kalkofens erfolgte am 20. März 2015 [6]

 

Einst diente der Brennofen

zur technischen Gewinnung von Branntkalk aus örtlichem Kalkstein

Die Umwandlung von natürlichem Kalkstein zu dem vielseitigen Werkstoff „Branntkalk“ zählt zu den historisch bedeutendsten technischen Produktionsverfahren.

Die traditionell zugrundeliegende Verfahrenstechnik wird als „Kalkbrennen“ bezeichnet.

Die herstellungstechnischen Abläufe der Kalkbrennerei im 18. Jahrhundert sind einer Bildtafel der DIDEROTS ENZYKLOPÄDIE ("Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers") zu entnehmen:

 

Bildtafel aus Diderots Enzyklopädie

Bildtafeln 1762-1777 [2]

 

Zur Rohstoffgewinnung wurde ortständiger Muschelkalk in mühevoller Arbeit von der Hand gebrochen und zerkleinert.

Nach der Anlieferung wurden die Kalksteinbrocken von oben - über eine noch heute an der Wegeführung erkennbare Rampe - in den Kalkofen gefüllt.

 

Im archäologischen Befund

erkennbarer Hangeinbau │ April 2013

mit Wegeführung einer Rampe

zum Befüllen des Kalkofens

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Um aus dem im Kalkstein als Hauptbestandteil vorhandenen Calciumcarbonat (Calcit, Ca[CO3]) Kohlendioxid (CO2) technisch auszutreiben, wurde die Kalksteinfüllung von unten über einen Befeuerungskanal wahrscheinlich mit örtlichem Buchenholz tagelang stark erhitzt („gebrannt“ bei ca. 800–1.400° C).

Durch den Brennvorgang wurde der Kalkstein entsäuert (Ca[CO3]-Entsäuerung) und das Produkt „Branntkalk“ (Calciumoxid, CaO) gewonnen:

CaCO3 ⟶  CaO + CO2

 

Freigespülte Branntkalkreste (CaO)

im archäologischen Befund

des dislozierten Abraums │ Juli 2013

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Der Brennholzbedarf des neuzeitlichen Kalkofens am Sollingrand wurde am ehesten durch örtliches Buchenholz aus den Solling-Forsten gedeckt, etwa vergleichbar mit der Ofenbefeuerung frühneuzeitlicher Waldglashütten in der Umgebung des Hellentals.

 

Vielfältige Verwendung des „Branntkalks“

Branntkalk, auch als „gebrannter“ oder „ungelöschter Kalk“ bezeichnet, wurde und wird noch heute als hochwertiger Bau- und Werkstoff verwendet.

So dient er beispielsweise als Beimischung zu Mörtel und Putzen bzw. zum Herstellen von Kalkmörtel im Dekorations- und Bauwesen, als Zuschlagstoff bei der Verhüttung von Eisenerzen (in den Eisenhütten von Merxhausen?), in der Landwirtschaft als Kunstdünger oder zur Desinfektion von Ställen („Kalken“ der Stallwände).

 

Örtliche "Kalkbrenner" des 18./19. Jahrhunderts

Bis auf einige wenige genealogische Erkenntnisse konnten bislang keine weiterführenden archivalischen Quellen erschlossen werden; hier ist weiterer Forschungsbedarf angezeigt.

So sind Fragen beispielsweise zum betrieblichen Management, zum Transport und Verkauf an lokale oder regionale Abnehmer sowie zu den Preisen noch offen.

Aus dem technischen „Kalkbrennen“ leitet sich die Berufsbezeichnung "Kalkbrenner" ab.

Mit dieser Berufsbezeichnung sind im Kontext des Kalkofens nahe Merxhausen genealogisch folgende 8 Personen nachweisbar[3]:

  • Becker, Johann Heinrich (getraut 1797), Merxhausen

  • Becker, Karl Heinrich (1797-1864), Merxhausen

  • Grave, Friedrich Ludewig (1799-1877), Merxhausen, Händler und Kalkbrenner

  • Schattenberg, Johann Carl Friedrich (1741-1796), Merxhausen

  • Schattenberg, Carl Friedrich Ludwig (1817-1902), Merxhausen

  • Schattenberg, Carl Heinrich August (1843-1920), Merxhausen

  • Schattenberg, Karl August Wilhelm (1874-1951) Merxhausen

  • Verwohlt, Johann Henrich (1738-1797), Heinade

 

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[1] Fundmitteilung: UWE HOFFMANN, Leiter des Forstreviers Merxhausen.

[2] Tafelausschnitt aus DIDEROTS ENZYKLOPÄDIE. Die Bildtafeln 1762-1777. 1. Bd. Reprint Augsburg 1995, S. 59.

[3] NÄGELER/WEBER: Geschichte und Einwohner zwischen Solling und Holzberg. Ortsfamilienbuch Heinade, Hellental, Merxhausen und Denkiehausen - ab 1648. Heinade 2005.

[4] WEBER: Waldglashütten in den Solling-Forsten des Hellentals (II). Sollinger Heimatblätter 2/2012, S. 11.

[5] Mitteilung nach bautechnischer Untersuchung von EBBECKE, Dassel.

[6] Zur öffentlichen Einweihung des historischen Kalkofens nahe Merxhausen - gemeinsam mit den Niedersächsischen Landesforsten - konnte bei frühlingshaftem Wetter der Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins für Heinade-Hellental-Merxhausen und Ortsheimatpfleger Hellental, Herr Dr. Klaus A.E. Weber, am 20. März 2015 auf dem Parkplatz am Kalkofen von den Niedersächsischen Landesforsten den Regionalen Pressesprecher für Niedersachsen–Süd, Herrn Michael Rudolph vom Forstamt Clausthal, begrüßen, ebenso Herrn Uwe Hoffmann, Revierförster Merxhausen, wie auch den Bürgermeister der Gemeinde Heinade, Herrn Gerhard Ross. Die Organisation oblag dem Leiter der HGV-Arbeitsgruppe Merxhausen, Herrn Rolf Clauditz.

[7] TACKE 1943, S. 142-143.

[8] Blatt 8 der faksimilierten Sollingkarte von 1603 [ARNOLD/CASEMIR/OHAINSKI (Hg.), 2004 - NLA WO, K 202 Blatt 8.

[9] TACKE 1943, S. 143 - LHW. DFW.-Beschreibung von Heinade und Arholzen. 1755.

[10] WEBER: Kalkofenrelikt am Sollingrand. Sollinger Heimatblätter. Zeitschrift für Geschichte und Kultur. 1/2015, S. 26-30.

[11] Anhand anthropogener Bodenveränderungen sowie insbesondere durch einige wenige Glas- und Hafenscherbenfunde im März 2002 werden Glashüttenstandorte im nordwestlichen unteren Hellental - Seitental „Steinlah“ -, nahe Merxhausen vermutet - persönliche Mitteilung von Detlef Creydt (Holzminden) und Dr. Christian Leiber (Archäologische Denkmalpflege Landkreis Holzminden), zudem persönliche Mitteilung von Heinrich Schattenberg (Merxhausen) mit eigenen Bodenfunden: "Am 12. März 2002 seien von Detlef Creydt in diesem quellnahen Bereich gegenüber der Flur „Steinlah“ 3 Hügel als mögliche, aber nicht hinreichend gesicherte Glasofenstandorte beschrieben worden. Am 13. März 2002 sei eine Feldbegehung von Detlef Creydt mit Dr. Christian Leiber erfolgt. Als oberflächennahe Bodenfunde seien von Detlef Creydt Glasschlacken, Hafenscherben im dortigen Bachverlauf sowie eine Hafenrandscherbe angeführt worden, die nach Dr. Christian Leiber zunächst noch mit Vorbehalt in das 12./13. Jahrhundert worden seien."

Begehung und Befundbesprechung von Dr. Klaus A.E. Weber und Detlef Creydt am 16. Januar 2020.

[12] Die Hafenfragmente und die Glasscherbe liegen dem Historischen Museum Helental nicht vor.

[13] HASSEL/BEGE 1803, S. 336 (12.).