Die Lydia-Kapelle

Klaus A.E. Weber │ Rolf Clauditz

 

"Kirche und Schule - Geistige Kultur" [14]

Fachwerkkörper aus ehemaligem Schulhaus und heutiger Lydia-Kapelle │ Mai 2020

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Die alte Dorfkapelle

STEINACKER [1] beschreibt 1907 die Kapelle als einen "schlichten Fachwerksbau", der zwischen 1763 und 1788 errichtet worden sei.

 

Um 1574

Eigene Pfarrkirche

Der Ausschnitt mit dem Dorfnamen „Merkelhusen“ aus der Tafel 6 Amt Fürstenberg im Ämteratlas des Gottfried MASCOP weist in der ältesten fassbaren Karte des ehemaligen Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel aus, dass mit einem eigenen Symbol klassifiziert, Merxhausen um 1574 eine Pfarrkirche besaß.

 

Ab 1698

zur "Filiale Heynade" gehörend

Bis 1698 war Merxhausen kirchlich zunächst eine „Filial“ von Mackensen.[27]

Im gleichen Jahr wurde Merxhausen dann Filialgemeinde von Heinade (damals noch ein Filial von Deensen):

  • "Wir Rudolf August und Anton Ulrich, Herzogen zu Braunschweig und Lüneburg thun kund ... den getreuen Heinrich Conrade Lenecke, Pastor zu Deense mit den Filialen Heynade, Merxs- und Denkihausen ... zu belehnen."

Einer Beschreibung von 1763 ist der Baubeginn zu entnehmen:

  • "Es wird jetzt zu einer aufbauung einer Kapelle Anstalt gemacht, und dazu der Schulmeister Garten neben der Schule ausersehen, und fortgesetzet."

 

1777

Einweihung der "Capelle"

Legt man die Urkunde des Wolfenbüttelschen Consistoriums zur Einweihung der "Capelle" von Merxhausen zu Grunde, so wurde die Dorfkapelle am 09. April 1777 eingeweiht.

Die Originalurkunde wurde anlässlich der 1983 durchgeführten Erneuerung der Turmbekrönung, einem gemeinschaftlichen Geschenk der „Freiwilligen Feuerwehr Merxhausen“, in der Kugel des Turmes gefunden, neben mehreren Geldstücken u. a. aus dem 19. Jahrhundert (1874–1876).

Ausschnitt aus der Urkunde der "Consistorio Wolfenbüttel" zur Einweihung der "Capelle" von Merxhausen am 09. April 1777 [28]:

"Unsere freundlichen Dienste zufor; Ehrwürdiger und wohlgelehrter günstiger guter Freund.

Auf die von euch unterm prsta vom 2. began der Einweihung der neuen Capelle zu Merxhausen gethane Anfrage, wird euch hiedurch ohnverhalten; das sothane [Anm.: solche Begebenheit, Umstände] Einweihung, welche ihr nach eurem Gutfinden an diesem Tage, da eben Betstunde gehalten wird, vorzunehmen habet, verstattet sey, doch sind dabey keine actus ministerialis [Anm.: Messdiener] zu verrichten, und habet ihr in der von euch zun haltenden Rede des rühmlichen Eifers dieser Gemeinde ihren Gottesdienst zu befördern mit anzuführen.

Übrigens habet ihr den Prediger zu instruieren, daß er nicht nur von dieser Capelle ein kleines Haupt-Buch formiren, und selbiges zu unserer Rectification einsenden, sondern auch alle Jahr die obwol geringen Einkünfte derselben ordentlich berechne.

Wir sind euch zu freundlichen Diensten geneigt.

Gegeben in Consistorio Wolfenbüttel den 9. April 1777.

Fürstl. Braunschw. Lüneb. Geheimer Rath, auch zu den Consistorial und Kirchen-Sachen, Verordneter Praesident, Vice-Praesident, und Räthe.

von Spanuth"

 

Kleiner Dachturm und goldener Kugel mit Wetterfahne "1881" │ Mai 2020

© HGV-HHM, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

1881

"Gründliche Restauration des Schulhauses und der Capelle"

Um 1829 besaß das nach Heinade eingepfarrte Merxhausen 43 Feuerstellen und eine Schule, die dem "Consistorio Wolfenbüttel" unterstellt war.

Am 23. Februar 1829 wurde das Abbruchmaterial des alten Schulhauses wie auch des "daneben belegenen Capellen-Gebäudes" vom herzoglichen Kreisamt Stadtoldendorf öffentlich meistbietend zum Verkauf am 02. Mai 1829, morgens 10 Uhr, angeboten,[29]

Um 1881 war "eine gründliche Restauration des Schulhauses und der Capelle" vorgenommen worden.

Hierbei wurde das alte Schulgebäude "ganz zur Lehrerwohnung eingerichtet, ein neues Lehrzimmer und ein Nebengebäude daneben gebaut."

Die Dorfkapelle wurde mit einem "Thurme versehen" und erhielt zudem eine "Thurmuhr".[30]

 

Kirchenglocken

Die 1718 in Braunschweig gegossene, 74 kg schwere Kirchenglocke von Merxhausen war im Winter um die Jahreswende 1898/1899 gesprungen.

Daraufhin wurde umgehend eine große, 75 kg schwere und eine kleinere, 50 kg schwere Kirchenglocke bei der Firma Radler und Söhne (Hildesheim) in Auftrag gegeben.

Eine von dieser Firma gelieferte Kirchenglocke diente zwischenzeitlich als "Aushülfsglocke".

Die alte Kirchenglocke, die in Zahlung genommen wurde, trug die Inschrift:

"Kommet herzn, frohlocket und jauchzet dem Hort unseres Heils. Mich goß C. L. Meier. Braunschweig. 1718."

Die neue große Glocke soll die Inschrift „Die Lebenden rufe ich. Die Toten geleite ich“ tragen, die kleinere die Inschrift „Friede sei mit Euch!“.

Beide Kirchenglocken sollten in den Tönen „e“ und „g“ erklingen.[32]

Während des Ersten Weltkrieges (1914–1918) ging angeblich eine der beiden Kirchenglocken „verloren“.[33]

 

Kircheninventar

Um 1900 bestand in der Kapelle eine hölzerne Altarkanzel zwischen zwei Pilastern.[1]

Das Kircheninventar jener Zeit umfasste nach STEINACKER [1]

  • einen Kronleuchter aus Gelbguß mit sechs erneuerten Armen und Doppeladler, 40 cm hoch
  • zwei Altarleuchter aus Gelbguß, 27 cm hoch, breiter runder Fuß mit Teller, Schaft im Durchschnitt vierpassig, neuer Lichtteller.

Für das dörfliche Kirchengeläut sorgten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwei neue Glocken.

 

1951/1952

Grundlegende Renovierung

Die Kapelle wurde 1951/1952 einer grundlegenden Renovierung unterzogen, wobei der Kanzelaltar geteilt wurde und die Kanzel einen eigenen Standort erhielt.

Ein Gemälde des Malers Hormeyer aus Hannover wurde über dem Altar angebracht.

 

Dorfkapelle von 1881 mit kleinem, zierlichem Dachturm und schönen Fenstern Mai 2020

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

1998

Namenspatronin Lydia, eine antike Purpurhändlerin aus der kleinasiatischen Stadt Thyatira

An die Blütezeit des Leinengewerbes und an den einst florierenden Leinenhandel im 18. Jahrhundert erinnernd, trägt seit 1998 die ehemals namenlose evangelische Dorfkapelle den Namen "Lydia-Kapelle".

Die neutestamentarisch in der Apostelgeschichte erwähnte Purpurhändlerin Lydia von Philippi aus der Stadt Thyatira, eine in der Antike bedeutende Handels- und Textilindustriestadt mit Purpurfärbereien (heute: Akhisar) in Kleinasien, gilt als die Schutzpatronin der Färber (Tuchfärber).

Dies spiegelt eine eine enge Verbindung zu der ehemals in Merxhausen lebenden Tuchhändlerfamilie Rothschild wider.

Apostelgeschichte 16 Vers 14:

"Eine Frau namens Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; sie war eine Gottesfürchtige, und der Herr öffnete ihr das Herz, so daß sie den Worten des Paulus aufmerksam lauschte."

Der Legende nach ließ sich Lydia als erste in Europa vom Apostel Paulus von Tarsus mit den Angehörigen ihres Hauses taufen.

 

2018

Pflanzen der Rose "Elisabeth" an der Kapelle

Herzogin Elisabeth - Regentin | Reformatorin | Ratgeberin

 

Jubiläumsfeier in Hann. Münden │ September 2010

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Jubiläums-Rose zu Ehren der Elisabeth von Brandenburg (1510-1558) │ Mai 2020

Gattin des Herzogs Erich I. von Braunschweig-Lüneburg

© HGV-HHM, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

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[1] STEINACKER 1907, S. 190-191.

[28] Urkunde des Wolfenbüttelschen Consistoriums.

[29] Braunschweigische Anzeigen, März 1829, 18. Stück, 889.

[30] Braunschweigische Anzeigen, Januar 1899.

[32] Braunschweigische Anzeigen, Januar 1899.

[33] Presseartikel von G. Sch.: Merxhausen wollte der Teufel behalten. Eine heimatgeschichtliche Plauderei über das schöne Sollingdorf Merxhausen (Name der Zeitung und Erscheinungsdatum sind unbekannt).