Braunschweigisch-hannoversch-preußischer Grenzraum

Klaus A.E. Weber

 

Die den Solling durchquerende Grenze des alten Landes Braunschweig

hier entlang des Verlaufes der Helle als "Grenzbach"

"Die Gerlachsche Karte des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel (1763-1775)" [3]

 

Der „Hellentaler Graben”

Geografisch gesehen, liegt das Hellental in der Region Süd-Ost-Niedersachsen, landschaftsräumlich im Weserbergland.

Geologisch betrachtet, ist das Hellental ein Teilgebiet der von Südwesten nach Nordosten, von Meinbrexen an der Weser bis Merxhausen und Denkiehausen mit dem Heukenberg, das mächtige Sollinggewölbe geradlinig querenden Grabensenke, die „Hellentalfurche“ [1], in der jüngere Gesteinsschichten wie Unterer Muschelkalk als präoligozän versenkte Schollen und Tertiär liegen.

Das Hellental ist ein optisch reizvolles, in diese Grabensenke hinein entwickeltes Muldental in der südniedersächsischen Mittelgebirgslandschaft, im nördlichen Massiv der Buntsandsteinkuppel des Sollings.

Die auffällige Landschaftsform des „Hellentaler Grabens” ist ein erdgeschichtliches Zeugnis von besonderer Seltenheit und Schönheit zugleich und kann als kleines regionales „Archiv” der erdgeschichtlichen Entwicklung angesehen werden.

Im Naturraum Hellental kann man in engster Nachbarschaft unterschiedliche geologische Formationen antreffen, wie beispielsweise den für das Solling-Mittelgebirge typischen

aber auch imponierende Karsterscheinungen, wie

An diese „geradlinig gestreckte Achse des kleinen Hellentals“ lehnt sich die den Solling querende Grenze des alten Landes Braunschweig an.[2]

Seit dem frühen 18. Jahrhundert erfolgten Rodungen an den Außenrändern des Sollings und seiner Vorberge.

 

"Wiese" durch Rodung im Jahr 1711

Im Einwohnern des hannoverschen Dorfes Mackensen ausgewiesen Forstgrund "Im Hellental" wurde beim Bestandsverhältnis "ein wenig unfruchtbar Holz" im Jahr 1711 eine "Wiese" durch Rodung angelegt mit einer relativ großen Fläche von 8 hannoverschen Morgen und 30 hannoversche Quadraturen (ca. 21.400 m²).[6]

 

Blick vom Heukenberg bei Merxhausen in das Hellental - ein historischer Grenzraum │ Mai 2017

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

„Die Grenze” im Hellental

Die Talsohle des Hellentales kann auch als historisches „Grenzland” faszinieren, begleitet von erhaltenen, regionalgeschichtlich bedeutsamen Grenzsteinen mit territorialer Kennzeichnung.

Der landschaftsprägende Bach des Hellentals ist die weitgehend naturnah erhaltene, „muntere Helle“, die mit einem erheblichen Gefälle mäandrierend das tief in den Solling eingeschnittene Wiesental munter und schnell durchfließt.

Die Helle ist in wirtschaftlicher Hinsicht immer ein völlig unbedeutender Sollingbach gewesen.

Zugleich ist die Helle seit Jahrhunderten ein territorialer Grenzbach mit teilweise erhaltenen Grenzsteinrelikten als Zeugen einer bewegten Regionalgeschichte.

Im Dorf Hellental wird der Mittelgebirgsbach daher noch heute „Die Grenze“ genannt.

Insbesondere im Frühjahr plätschern aus vielen Verwerfungsquellen gespeist kleine Rinnsale und Bäche die mehr oder minder steilen Berghänge beiderseits der Helle die Wiesen herunter, weshalb das Hellental früher auch als „Tal der 200 Quellen“ bezeichnet wurde.

 

Von Braunschweig gesetzter Grenzstein, rückseitig gekennzeichnet mit "P" für Preußen

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Preußische Landesaufnahme

In den Jahren 1877-1912 wurden auch für das Gebiet des heutigen Landes Niedersachsen die Erstausgaben der Topographischen Karte 1:25.000 (TK 25) als Preußische Landesaufnahme (Messtischblätter) aufgenommen.

Wegen des großen Aufwandes hatte auch das Herzogtum Braunschweig dem Preußischen Staat die Vermessung und die kartographische Darstellung seiner Landesflächen übertragen.

Für den hier behandelten Grenzverlauf wurde die Vermessung 1896 durchgeführt.[5]

 

Historischer Grenzverlauf am Heukenberg und im Hellental

Der alte Weserdistrikt des ehemaligen Herzogtums Braunschweig, aus dem 1832 der alte "Kreis Holzminden" [4] als politisch-geografische Gemeinwesen hervorging, war einst eine vom braunschweigischen Kernland weit entfernt gelegene Großexklave.

Geografisch lag der Weserdistrikt im Wesentlichen zwischen den beiden Flüssen Weser und Leine und grenzte im


Territorial- wie vor allem kirchengeschichtlich sind hierbei die Grenzbereiche

bedeutsam.

Seit alters her trennen politisch-administrative Grenzen Staats- und abhängige Gebiete voneinander, innerstaatlich zudem auch Verwaltungseinheiten, wie auch ein Blick in die langjährige Geschichte des Landkreises Holzminden eröffnet.

Wie alle Grenzen und ihre Verläufe, so sind auch jene des ehemaligen Weserdistrikts und heutigen Landkreises Holzminden ein Produkt äußerer wie innerer historischer, politischer und territorialer Entwicklungen.

Sie sind insbesondere das Ergebnis einer politischen Territorialisierung von Herrschaftsansprüchen und früherer Verwaltungsorganisation.

In der Regel sind Grenzverläufe geometrisch definiert, deren festgelegte Linienführung oft Grenzzeichen bzw. bauliche oder landschaftsgestaltende Maßnahmen markieren.

Im Rahmen territorialer Ordnungen mit Herrschaftsgewalt im begrenzten Raum wurden Grenzverläufe sukzessive linear und feststehend.

Seit dem Mittelalter wurden sie zunächst durch Gräben, Wälle, Bäume oder Hecken markiert, bevor sie seit der Frühen Neuzeit zunehmend durch Steinsetzungen gekennzeichnet wurden.

Weitere Betrachtungen belegen, wie gerade ältere Grenzziehungen im Laufe der Zeit dazu führten, dass sich kleinräumige Sprach- und Kulturgrenzen entwickelten.

Wie bei anderen Staatsgebieten, so war ehemals auch die Gesamtheit der Fläche des Herzogtums Braunschweig – und in ihm der westlich gelegene Alt-Kreis Holzminden – von künstlichen und natürlichen Grenzen umgeben.

Grenzverläufe können mit ersichtlichen naturräumlichen Barrieren (z.B. Höhenzüge, Bachverläufe) zusammenfallen, nicht selten begleitet von Grenzbefestigungen, Grenzbäumen, Grenzsteinen und/oder anderen territorialen Markierungen.

Insbesondere bestimmten auch kleinräumige Eigentumsverhältnisse den Verlauf landesherrlicher Grenzziehungen.

Von seiner territorialen wie natürlichen Grenzlage im nördlichen Sollingmassiv war die Zugehörigkeit des Hellentals zum vormals bestehenden Land Braunschweig maßgeblich gekennzeichnet und topographisch von naturräumlichen Elementen geprägt.

 

Ämterkarte von TACKE [7]

 

Historischer Grenzverlauf im Hellental

Ein Abschnitt der Südostgrenze des Landkreises Holzminden zieht sich über die Höhenlinie des Ohlenbergs und Heukenbergs zu der Tiefenlinie des tertiären „Meinbrexen-Merxhausen-Grabens“.

Der Grenzverlauf endet südlich im oberen Hellental am „Dreiämterstein“, an dem sowohl das Herzogtum Braunschweig als auch das Hochstift Hildesheim und das Fürstentum Göttingen Anteil hatten.

Seit Ende des 15. Jahrhunderts folgten der Grabenstruktur des Hellentals die natürlichen Territorialgrenzen zwischen dem Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, Hochstift Hildesheim und Fürstentum Calenberg, später Kurfürstentum Hannover und Königreich Hannover.

Längs des im Hochmoor Mecklenbruch entspringenden Mittelgebirgsbachs Helle verlief bereits im Mittelalter eine bedeutende Landesgrenze.

Ältere Hellentaler Dorfbewohner bezeichnen daher noch heute den in der muldenförmigen Talsohle fließenden Helle-Bach als „Die Grenze“.

Als erhaltene Relikte zeugen noch heute die im Hellental errichteten Landes- und Ämtergrenzsteine sowie forstliche und fiskalische Abteilungssteine von den jeweiligen herrschaftlichen Gebietsansprüchen in den vergangenen Epochen.

Diese teils mit Ordnungszahlen und –buchstaben gekennzeichneten Grenzsteine sind stille Zeugen eines alten Grenzraums in der Landschaft des Hellentals.

Die eingemeißelten Ordnungsbuchstaben und –zahlen geben Auskünfte darüber, von welcher Gebietskörperschaft der jeweilige Landes- oder Ämtergrenzstein vormals gesetzt wurde.

Die Setzung der Grenzsteine mit den Bezeichnungen HB / KH (Herzogtum Braunschweig / Königreich Hannover) erfolgte im Zeitraum 1814-1828.

Bei der 1901 durchgeführten Grenzfeststellung wurde erstmals der Grenzabschnitt im Hellental versteint und mit den Hoheitszeichen B│P (für Braunschweig und Preußen) gekennzeichnet.

Im Naturschutzgebiet des oberen Hellentals steht versteckt am Ufer der Helle, am Zusammenfluss mit einem kleineren Nebenbach, ein besonderer braunschweigischer Hoheitsgrenzstein: der 1828 gesetzte dreikantige "Dreiämterstein".

Hier im "Hellen Thal" grenzten in einem Schnittpunkt dreier Amtsbereiche und herrschaftlicher Territorien - als „Dreiländer-/Ämterecke“ - direkt aneinander:

  • Amt Holzminden (Herzogtum Braunschweig)
  • Amt Hunnesrück (Hochstift Hildesheim)
  • Amt Uslar (Kurfürstentum Hannover).

Der im Jahr der Setzung des "Dreiämtersteins" aufgenommene herzogliche Landesgrenzplan gibt mit dem Flurnameneintrag „Der Glaseplack“ einen kartografischen Hinweis auf die große frühneuzeitliche Glashütte "Oberes Hellental" am „rothen Wasser“, unterhalb der Anhöhe „Der Räuberbrink“ und zwischen den braunschweigischen Hellentaler und den hannoverschen Mackenser Wiesen gelegen.

Die Bedeutung des Grenzraumes im Hellental unterstreichend, weisen die Kirchenbücher für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrere „Grenzaufseher” aus:

  • Heinrich Julius August Albrecht,
  • den 1806 in Braunschweig geborenen Carl August Garbe, Christian Friedrich Eisbrecher,
  • den „Grenzcontrolleur” Gottlieb Pabst,
  • den in Merseburg geborenen Bernhard Friedrich Senff, Heinrich Friedrich Ahlborn in Merxhausen (1844), der 1862 Forstaufseher in Pilgrim wurde.

In seinem „Niedersächsischen Skizzenbuch“ beschrieb Hermann Löns (1866-1914) zu Beginn des 20. Jahrhunderts „Das Hellental“ und darin u.a. auch den Verlauf des Helle-Baches und der Landesgrenze:

"Das Tal, [...], hat von alters her den Namen Hellental.

In seinem Grunde, neben dem sich ein hellroter Fahrweg entlangzieht, läuft die Grenze zwischen Braunschweig und Hannover entlang, und es ist so schmal, dass die Hirsche, die hüben und drüben hinter den Gattern stehen und sich im Herbste wütend anschreien, einander wittern können, wenn der Wind danach ist."

 

Wilderei und Schmuggel

im braunschweigisch-hannoversch/preußischen Grenzraum

Um 1840 hatte die mitten durch den Solling - zwischen dem Herzogtum Braunschweig und Königreich Hannover - führende Landesgrenze eine besondere Rolle erhalten, denn die auch inmitten des Hellentals verlaufende Herrschaftsgrenze wurde in jener Zeit wegen der häufigen Wilderei und des verbreiteten Schmuggels in dieser bitterarmen Sollingregion wieder berüchtigt.

In jenen ökonomisch wie sozial schwierigen Jahren des 18./19. Jahrhunderts, einhergehend mit großem Hunger und Massenarmut bei zunehmendem Bevölkerungswachstum, gab es typischerweise eine Vielzahl von Einzelstrategien die Dorfbewohner des Sollings wegen ihrer großen materiellen Armut und existentiellen Not entwickelten.[8]

Besondere lokale wie individuelle Varianten bestanden hierbei in dem „Schmuggel rund um den Solling“ und der facettenreichen „Wilderei“ im 18. und 19. Jahrhundert.

Ein Überleben vieler kleiner Landleute des Sollings war in jener armutsbehafteten Zeit oft nur durch Gesetzes- und Grenzübertretungen möglich.

 

Literatur

CREYDT, DETLEF, HILKO LINNEMANN, KLAUS A.E. WEBER: Die historische Landesgrenze des Kreises Holzminden zum ehemaligen Hochstift Hildesheim. In: Jahrbuch 2007 für den Landkreis Holzminden. Bd. 25. 2007, S. 41-68.

WEINREIS, HORST: Wege, Steine und Gräben. Zeugnisse der Vergangenheit im Solling, Revier Nienover. Teil I. Sollinger Heimatblätter. Zeitschrift für Geschichte und Kultur. 1/2008, S. 9-21.

WEINREIS, HORST: Wege, Steine und Gräben. Zeugnisse der Vergangenheit im Solling, Revier Nienover. Teil II. Sollinger Heimatblätter. Zeitschrift für Geschichte und Kultur. 2/2008, S. 11-20.

 

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[1] MODERHACKL 1979, S. 3.

[2] MODERHACK 1979, S. 11.

[3] NLA WO, K 3 Blatt 5.

[4] HEINEMANN 1977, S. 271-279.

[5] CREYDT/LINNEMANN/WEBER 2007.

[6] REDDERSEN 1934, S. 23 Tab.

[7] TACKE 1943, S. 10 Abb. 1.

[8] ALTHAUS 2019.