Der Jüdische Friedhof bei Merxhausen │ 1867-1934

Klaus A.E. Weber

 

Haus des Lebens │ Haus der Ewigkeit

Jüdische Friedhöfe zählen mit ihren Grabsteinen zu den wenigen erhaltenen materiellen Zeugnissen jüdischer Kultur - auf Dauer angelegte Begräbnisstätten.

Nach jüdischem Brauch gehört das Grab den Toten.

Daher sind die Gräber angelegt für die Ewigkeit bis zur Auferstehung am Jüngsten Tag.

Ein jüdisches Grab darf nicht verändert werden, sondern ist so beizubehalten wie es angelegt wurde.

Bei der vorgeschriebenen Leichenbestattung im Judentum als Erdbestattung werden alle Gräber mit Grabsteinen gekennzeichnet, die bis in alle Ewigkeit bestehen bleiben.

Aus einem Geleitwort von Michael Fürst, Präsident des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen [9]:

Jüdische Friedhöfe sind die letzten Zeugen Jüdischen Lebens in Deutschland bis 1945.

Sie geben Auskunft über die Größe der jeweiligen Jüdischen Gemeinde, über den sozialen Status und den Prozess der Emanzipation, Akkulturation und Assimilation bis hin zum Ende dieses Prozesses, der sein Ende in der Shoah fand.“

Zur jüdischen Bestattungs- und Grabkultur mit regionalen Besonderheiten, dem Friedhof als „Haus des Lebens“ oder als „Haus der Ewigkeit“, zu Bestattungsritualen und Trauerzeit sowie zur Anlage und Gestaltung der Begräbnisstätte, zu Grabsteinen mit ihren Inschriften, Symbolen und Ornamente und zur Sprache wird auf das entsprechende Kapitel in dem 2014 erschienenen Buch von HERBST/SCHALLER [4] verwiesen.

 

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Jüdischer Friedhof in der Gemarkung Merxhausen │ Dezember 2024

Alte Einbecker │ 37627 Heinade [2]

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Denkmalgeschütztes jüdisches Kulturerbe - das Rätsel aufgibt

Nordwestlich von Merxhausen im Sollingvorland, am Südhang des Heukenbergs, befindet befindet sich an der Alten Einbecker Heerstraße der Jüdische Friedhof Merxhausen.

Er zählt zu den Jüdischen Friedhöfen in Niedersachsen.

Der nicht aufgelassene und nicht neu belegte Friedhof gehört zu den wenigen erhaltenen materiellen Zeugnissen jüdischer Kultur in Merxhausen.

Eine orientierende Untersuchung und Dolumentation des Friedhofs wurde im Dezember 2024 durch die Leitung des Historischen Museums Hellental vorgenommen.

Zuvor war eine ausführliche Beschreibung des jüdischen Friedhofes und der mit ihm verbundenen Geschichte der Familie Rothschild in Merxhausen von HENZE und LILGE im Jahr 1989 veröffentlicht worden.[1]

 

Lage erhaltener Grabstellen auf dem Friedhof │ 1989

HENZE/LILGE 1989 [4]

 

Lage nach LGLN: Merxhausen [7]

  • WGS 84 │ Breitengrad │ N(Y): 51,825538

  • WGS 84 │ Längengrad │ N(Y): 9,631622

  • ETRS89 │ UTM Zone │ 32N │ E (X): 543529,366

  • ETRS89 │ UTM Zone │ 32N │ E (Y): 5741824,763

 

Einzigartiges Zeugnis jüdischen Lebens in Merxhausen

Der Jüdische Friedhof Merxhausen in der Gemarkung Merxhausen ist als Einzeldenkmal (gemäß § 3 Abs. 2 NDSchG) ein geschütztes Kulturdenkmal (Denkmalatlas Niedersachsen │ Objekt-ID: 26807977 │ Objekt-Nr. 34) aufgrund seiner historischen und wissenschaftlichen Bedeutung.

Wegen seines hohen Dokumentations- und Erinnerungswertes ist der jüdische Friedhof zu erhalten und zu würdigen.

Der Begräbnisplatz mit einer dokumentierbaren Belegungszeit von 1867-1934 ist ein Zeitzeugnis

  • der lokalen Geschichte

  • der Sozial-, Kultur- und Religionsgeschichte

  • der Geschichte der jüdischen Bestattungskultur.

An einem nach dem Heukenberg vorspringenden Ausläufer des nördlichen Sollings, etwa 500 m nordwestlich des spätmittelalterlich entstandenen Bauerndorfes Merxhausen, liegt nahe der alten Einbecker Heerstraße der alte jüdische Friedhof.[1][2]

Er ist nur über einen steilen Wirtschaftsweg erreichbar.

Traditionell befinden sich jüdische Friedhöfe außerhalb dörflicher oder städtischer Siedlungen.

Angelegt wurde der schwer zugänglich Begräbnisplatz der jüdischen Gemeinde von Merxhausen vermutlich in der Zeit um 1840 (hierfür besteht keine sichere Quellenlage)

  • in schlechtester Lage auf weit abgelegenem Gelände

  • außerhalb der dörflichen Siedlung

  • auf einer landwirtschaftlich nicht nutzbaren Fläche

  • nahe eines Waldrandes
  • an einem steilen Nordhang mit schlechtester Bodenbeschaffenheit.

 

Hanglage des Jüdischen Friedhofs │ Dezember 2024

Blick von Süden

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Hintergünde dafür, weshalb die jüdische Gemeinde in Merxhausen ihre Begräbnisstätte unter diesen Bedingungen abgesondert des Dorfes anlegte, könnten darin zu sehen sein:[6]

a)

Jüdische Gemeinden wurden stark behindert, Grund und Boden zu erwerben.

Der Grundherr wolllte keinen näher und günstiger gelegenen Grund verkaufen.

b)

Strenge rituelle jüdische Vorschriften waren für die Wahl gerade dieses Ortes ausschlaggebend.

Ein Friedhof sollte weit abgelegen sein, um rituelle Verunreigungen durch Berührung und zu großer Nähe mit den Verstorbnen zu vermeiden.

c)

Schon seit dem christlichen Mittelalter wurde die Ausgrenzung lebender wie verstorbener Juden und Jüdinnen gesellschaftspolitisch erzwungen.

Der Begräbnisplatz wurde ab etwa 1867 (der älteste Grabstein ist auf das Jahr 1867 datiert) bis 1934 durch Juden und Jüdinnen aus Merxhausen belegt.

 

Pforte an der Nordseite des Jüdischen FriedhofsDezember 2024

Blick von Norden

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Nördlich befindet sich der Eingangsbereich.

Die Pforte ist mit zwei gestalteten Sandsteinpfeilern markiert, die Kartuschen mit eingemeißelten, aber verwitterten Inschriften tragen:

  • rechts: „A R“ (Abraham Rothschild) [3] mit beigefügtem, aber nicht identifizierbarem Symbol

  • links: vermutlich Jahreszahl 18(56?).

Vier überwachsene Treppenstufen aus Buntsandstein führen abwärts auf die Parzelle.

War der Friedhof vormals durch einen Jägerzaun eingefriedet und von Hecken umsäumt, so ist er heute relativ offen zugänglich.

Ohne weitere Abgrenzung nach außen sind einzelne Zaunpfosten aus ortständigem Buntsandstein vorhanden.

Auf der Rechteckanlage (34 x 30 m) des Friedhofs sind heute 15 Grabsteine - Mazevot – zumeist mit Inschriften, Symbolen und Ornamenten erhalten.

 

Noch vorhandene Grabsteine

Die vorgefundenen Grabsteine sind mit Nord-Süd-Ausrichtung in Reihen angeordnet – davon abweichend, dass Grabsteine mit der Front nach Osten aufgestellt wurden, in Richtung Jerusalem.

Üblicherweise haben jüdische Grabsteine auf der nach Osten ausgerichteten Seite die hebräischen Inschriften, auf der Westseite auf Deutsch die Lebensdaten der Verstorbenen.

Blockartig im unteren südöstlichen Viertel angeordnet, befinden sich davon acht relativ gut erhaltene, aufrechtstehende, weitgehend formgleiche Grabsteine an der Nordseite der Grablegungen.

Das religiöse Ideal der Schlichtheit und der Gleichheit aller im Tod auszudrücken, haben alle freistehenen Grabsteine die Form der Stele,

  • ein aufrecht stehender Sandstein (Monolith) im Hochformat

  • oben abschließend mit einem helmartigen Halbbogen.

Neben den aufrecht stehenden Grabsteinen sind auch umgekippte Grabsteine vorhanden.

Die umgekippten Grabsteine sind entweder durch wetterbedingte Umwelteinflüsse umgefallen oder bei Schändungen (in der Zeit des Nationalsozialismus) gezielt umgeworfen worden.

Einzelne Grabsteine sind durch Erosion unlesbar geworden oder nur schwer zu entziffern

 

Ensemble von Grabsteinen im jüdischen Friedhofs │ Dezember 2024

Blick von Süden

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Grabstein-Fragmente

Im oberen, nordöstlichen Bereich des Jüdischen Friedhofs befinden sich zwei teils mit Moos bedeckte Fragmente ehemals freistehender Grabsteine.

 

Mit Moos bedeckte Grabsteinfragmente Dezember 2024

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Mutmaßlich sind die Steinfragmente, wie auch das Fehlen oberer Abschlüsse, Zeitzeugnisse einer Schändung der jüdischen Begräbnisstätte und Störung der Totenruhe.

Während der NS-Zeit (1936-1945) wurden viele jüdische Friedhöfe in unterschiedlichem Ausmaß geschändet, beschädigt oder systematisch zerstört.

Der nach dem ältesten Grabstein um 1846 angelegte und bis 1936 belegte Jüdische Friedhof Stadtoldendorf [5] wurde in der NS-Zeit geschändet (drei namentlich bekannte Grabschänder).

Der im 19. Jahrhundert angelegte jüdische Friedhof Lauenförde (In der Stolle) wurde im Jahr 1944 geschändet.

 

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[1] HENZE/LILGE 1989, S. 139-148.

[2] MITZKAT/SCHÄFER (o.J.), S. 42-45.

[3] Abraham Rothschild wurde 1772 in Merxhausen als Sohn des Garnhändlers Ephraim ben Joseph aus Wangelnstedt geboren.

[4] HENZE/LILGE 1989, S. 140 Abb. 2.

[5] MITZKAT/SCHÄFER (o.J.), S. 52-57.

[6] MITZKAT/SCHÄFER (o.J.), S. 60-61.

[7] LGLN: Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen │ GeobasisdatenViewer Niedersachsen.

[8] HERBST/SCHALLER 2014, S. 8.

[9] HERBST/SCHALLER 2014, S. 135-148.