Erwerbstätigkeit │ Heim- und Nebengewerbe

Klaus A.. Weber

 

Getreideernte am Sollingrand │ 1936 [15]

© Historisches Museum Hellental

 

"Hausindustrie"

Eng verknüpft mit der vorindustriellen Siedlungs- und Entwicklungsgeschichte Hellentals sind – neben den traditionellen Glasmacherfamilien – auch weitere Arbeiter- und Handwerkerfamilien und ihre individuelle Geschichte.

Das Handwerk (Land- und Dorfhandwerker) war damals im Herzogtum Braunschweig der zweitwichtigste Wirtschaftsbereich, nach der Landwirtschaft.[1]

Das Gebiet der ehemals selbständigen Gemeinde Hellental wies 1957 eine Wirtschaftsfläche von 172,23 ha auf, wovon 161,37 ha (93,7 %) als landwirtschaftlich genutzt wurden.[13]

Für die „kleinen Leute“ war zudem der umgebende Wald von großer ökonomischer Bedeutung.

Zum einen galt er als „Sparbüchse für schlechte Zeiten“ [2], zum anderen diente er vielen Familien zur Existenzsicherung (u.a. Holzhauer, Köhler).

Wie aus dem "Grundriß des Dorfes Hellenthal, nebst den dazu gehörigen Grundstücken" von 1792 hergeleitet werden kann, waren die Besitzverhältnisse und damit verbunden die sozio-ökonomischen Lebensbedingungen der „kleinen Leute“ in Hellental durchaus unterschiedlich, wenn auch, im Gegensatz zu traditionellen Bauerndörfern, eher in geringem Maße.

Die jüngste Sozialschicht verfügte über einen nur geringen Besitz und geringe Rechte.

Ihr privates Anwesen bestand durchweg aus einer Kleinstelle mit einem Garten.

Typisch für die frühe Neuzeit war die dörfliche Gesellschaft von einer sozialen Differenzierung geprägt.

In dem hier betrachteten Zeitraum lag denn auch über dem Hellental stets ein dichter Schleier von

  • Armut

  • Not

  • Elend

  • Hunger

  • Krankheit.

So war es Hellentaler Familien, trotz großer Arbeitsamkeit und Bescheidenheit, kaum vergönnt, bei niedrigem Reallohn ein hinreichendes finanzielles Auskommen zu erzielen, so dass viele verarmte Familien gleichsam „auf Pump lebten”.

Die Überschuldung einzelner Familien muss dabei so enorm gewesen sein, dass sie gelegentlich auch gezwungen waren, Wiesen, Ackerflächen oder gar Häuser zur Schuldentilgung zu veräußern.

Man sprach dann im Dorf davon, dass ein Besitztum „über den roten Lappen gegangen“ sei.[3]

Archiviert ist auch ein Vorgang von 1796, in dem der am 10. Mai 1769 in Hellental geborene Soldat Johann Christoph Kuhlmann (1769-1850) gegen seinen Bruder Christian Kuhlmann [16] daselbst wegen des väterlichen Hauses (Ass.-№ 14: Schuster Georg David Kuhlmann (1792-1799)) in Hellental streitete.[4]

Johann Christoph Kuhlmann heiratete in jenem Jahr am 20. Dezember in Hellental die 1766 geborene Marie Sophie Eikenberg (1766-1796).

 

Grund und Boden

Beispielsweise zählte um 1800 zum Grund und Boden des Brinksitzers Johann Bernhard Eikenberg in Hellental (Ass.-№ 9)

neben dem Wohnhaus mit Stallung

  • ein dahinter liegender Garten

  • ein ½ Waldmorgen (≈ 1.670 m²) großer, an der „Kuppel“ gelegener Garten

  • ein ¾ Waldmorgen (≈ 2.500 m²) großer Garten am Hellentaler Berg

  • eine 1 Waldmorgen (≈ 3.330 m²) große Wiese im „Hülsebruch“

  • eine 2 Morgen (≈ 6.670 m²) große Wiese in der Mackensener Feldmarkt.

 

Der alte Fahrweg mit Blick in das südwestliche Hellental

Ende der 1940er Jahre

© Historisches Museum Hellental

 

Arbeit und Not der „kleinen Leute“ im Solling

Die übergroße Armut des kleinen Sollingdorfes als Kommune wird beispielhaft auch durch den Umstand charakterisiert, dass die Gemeinde Hellental 1836 von ihrem Einwohner, dem Nachtwächter Johann Friedrich Eikenberg verzinslich ein "Darlehn" von 10 Talern erhalten hatte.

Hierzu ist in einem Vermerk zu lesen, dass Johann Friedrich Eikenberg ein vormals von ihm erhaltenes "Darlehn von 10 Thalern Courant zurückgezahlt mit Agio auf vorstehenden Betrag à Thaler 10 Pfennige ..."

Um die imposante Höhe der Darlehenssumme ermessen zu können, ist anzumerken, dass damals der Nachtwächterjahreslohn von Johann Friedrich Eikenberg 7 Taler betrug; für das Ausrufen und Ansagen in der Gemeinde erhielt er zudem 1 Taler jährlich.[5]

Wie das Brandversicherungskataster [6] des "Dorfs Hellenthal" ausweist, konnten bei der am 15. September 1834 durchgeführten Gebäudeerfassung insgesamt 54 "Wohnhäuser" sowie "Scheuern" und "Nebengebäude" gelistet werden.

Damals betrug die Brandversicherungssumme der Gemeinde - die "Summa Catastri des Dorfes Hellenthal" - abzüglich der Summe von 1.800 Reichstalern für das Schul- und Kapellengebäude insgesamt 20.725 Reichstaler.

In den Jahren danach, bis um 1849, kamen im Brandversicherungskataster handschriftlich vermerkte Veränderungen sowohl bei den Besitzverhältnissen als auch bei den Gebäuden (An- und Umbauten) hinzu.

Die gemeindliche Hebeliste zur Wegeabgabesteuer für den Ort Hellental von 1877 weist insgesamt 58 Versicherungsobjekte aus.[7]

Demnach waren gegenüber 1834 in den 43 Jahren nur vier neue steuerpflichtige Anwesen in Hellental hinzugekommen.

Bei 112 Personen wurde eine Wegeabgabesteuer mit der Gesamtsumme von 168 Mark und 67 Pfennigen erhoben.

LAMBRECHT schrieb zur Mitte des 19. Jahrhunderts, dass die Hellentaler Einwohner "größtenteils Holzhauer und Köhler seien, sowie auch von denselben Leinwandweberei und Spinnerei betrieben wird".[11]

Nach rund 130 Jahren (1895) staatlich geförderter Ansiedlung lebten in" Hellenthal bei Merxhausen" 550 Einwohner.

Gemeindevorsteher und Standesbeamter war damals der Brinksitzer Ernst Seitz mit seinem "Gehülfen" Georg Sturm, dem auch das Amt des "Gemeinde-Einnehmers" oblag.

Der Brinksitzer Friedrich Hempel war stellvertretender Standesbeamter.

Im "Braunschweigischen Landesadreßbuch" [8] von 1895 sind zudem fast 110 (männliche) Personen – mit Namen, Besitzklassen- bzw. Standesbezeichnung (Brinksitzer, Häusling), Berufsbezeichnung, öffentlichem Amt (Gemeinderaths-Mitglied), fortlaufender Assekuranznummer (Ass.-№) – für das "Capelldorf" am Ausgang des 19. Jahrhunderts ausgewiesen.

Demnach bestanden in Hellental zum Ausklang des 19. Jahrhunderts insgesamt 67 Hausstellen, also 28 Hausstellen mehr als noch etwa 100 Jahre zuvor.

Merxhausen wies 1891 vergleichsweise 71 Häuser mit 501 Einwohnern auf.

In dem genealogisch untersuchten Betrachtungszeitraum des 18./19. Jahrhunderts waren in den Kirchenbüchern für Hellental insgesamt 75 Brinksitzer, 11 Anbauer und 61 Häuslinge ausgewiesen.[9]

Von den männlichen Dorfbewohnern waren etwa 44 % als Brinksitzer und etwa 41 % als Häuslinge in Hellental ansässig.

Somit lebten auffällig viele hausbesitzlose Häuslingsfamilien im Dorf, was zugleich auch die problematische sozio-ökonomische Lage der damaligen Dorfbevölkerung kennzeichnet.

Die Antwort auf die Frage, wie es denn in jener Zeit um die Finanzlage der Hellentaler Kommune bestellt war, ist der folgenden Bekanntmachung des Hellentaler Gemeinderates vom 06. August im "Braunschweiger Anzeiger" (Nr. 184) vom 08. August 1901 zu entnehmen:[10]

"Unsere Gemeinde, welche eine der ärmsten des Herzogthums ist, hat als Eigentum nur ein Schulhaus, ein Armenhaus, ein Spritzenhaus und ein Gemeindebackhaus. Diesen Grundstücken stehen aber Schulden (Anm.: Anleihen) in Höhe von 10.185 M gegenüber. Um den diesjährigen Steuerbedarf zu decken, müssen 500 pCt. der Staatseinkommensteuer erhoben werden."

Um 1840 hatte die mitten durch den Solling - zwischen dem Herzogtum Braunschweig und dem Königreich Hannover - führende Landesgrenze eine besondere Rolle erhalten, denn die auch inmitten des Hellentals verlaufende Herrschaftsgrenze wurde in jener Zeit wegen der häufigen Wilderei und des verbreiteten Schmuggels in dieser bitterarmen Sollingregion wieder berüchtigt.

In jenen ökonomisch wie sozial schwierigen Jahren des 18./19. Jahrhunderts, einhergehend mit großem Hunger und Massenarmut bei zunehmendem Bevölkerungswachstum, gab es typischerweise eine Vielzahl von Einzelstrategien die Dorfbewohner des Sollings wegen ihrer großen materiellen Armut und existentiellen Not entwickelten.

Besondere lokale wie individuelle Varianten bestanden hierbei in dem „Schmuggel rund um den Solling“ und der facettenreichen „Wilderei“ im 18. und 19. Jahrhundert.

Ein Überleben vieler kleiner Landleute des Sollings war in jener armutsbehafteten Zeit oft nur durch Gesetzes- und Grenzübertretungen möglich.

Die Forstarbeit war einst das für die Hellentaler Familien maßgeblichste Hauptgewerbe.

Hierhin ist zugleich auch die bis heute gebräuchliche Kennzeichnung von Hellental als „Waldarbeiterdorf“ begründet, was sich nicht zuletzt auch im Gemeindewappen von Hellental in Form eines stilisierten Fichtenbaumes widerspiegelt.

 

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Gewerbetreibende in Hellental

1. Hälfte 20. Jahrhundert [12]

 

Viele Menschen aus den ländlichen Unterschichten waren in jener Zeit auf Gewerbe und Kramhandel angewiesen.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war für die meisten Familien in Hellental ein wirtschaftliches Auskommen nur noch dadurch zu erzielen, indem sie mindestens einem Nebenerwerb nachgingen (kleingewerbliches Mischeinkommen).

Schlechte Jahre in der Landwirtschaft kamen erschwerend hinzu.

Im Hellental, inmitten des nördlichen Sollings, waren ohnehin die Verhältnisse des Ackerbaues und der Viehhaltung äußerst dürftig gewesen.

Die besonderen klimatischen Bedingungen des Unteren Sollings brachten es mit sich, dass kurze Vegetationsperioden, späterer Einzug der Vegetationsphasen und hohe Niederschlagsmengen vorherrschten und das kleinbäuerliche Wirtschaften im Hellental nachteilig beeinflussten.

Ein weiterer Nebenerwerbszweig ist in dem Pilze sammeln und Beerenpflücken der Hellentaler Dorffrauen in den Sollingforsten zu sehen.

Ihre schweren, mit Pilzen oder Beeren reichlich beladenen Kiepen auf dem Rücken tragend, traten Frauen ihren Fußmarsch bis nach Holzminden an, wo sie für nur wenige Pfennige ihre Ernten verkauften.

Auch arbeiteten einige Männer aus Hellentaler Familien der näheren wie weiteren Umgebung des Sollings

  • als Steinbrecher oder Steinarbeiter in den zahlreichen Buntsandsteinbrüchen,
  • ebenso auch in Ziegeleien (Ziegelei in Stadtoldendorf) und
  • in Sägewerken (Sägewerk bei Merxhausen).

1957 wies die damals selbständige Gemeinde Hellental als "Betriebe" aus [13]:

  • 2 Industrie

  • 1 Handel

  • 2 Handwerk

  • 1 sonstige

In unserer Kulturlandschaft können es die allerwenigsten noch, das handwerkliche Binden von Stall- und Straßenbesen, traditionell aus Birkenreisern.

Seit der industriellen Produktion ist die alte Tätigkeit des Besenbindens aus unserer Kulturlandschaft weitgehend verschwunden.

 

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[1] JARCK/SCHILDT 2000.

[2] TACKE 1943, S. 50.

[3] CREYDT 1988.

[4] NLA WO, 8 Alt Allersheim 04 lfd.Nr. 20.

[5] zit. in LESSMANN 1984.

[6] "Brandversicherungs-Catastrum des Dorfs Hellenthal Herzogl. Amts Stadtoldendorf vom Jahre 1834 …"

"Herzoglich Braunschw: Lüneburg. Finanz Collegium"; im Original zur Einsicht überlassen aus der Privatsammlung von Friedrich Schütte, Holzminden (2004).

[7] "Rolle zur Erhebung der Wegeabgabesteuer", eine steuerliche Hebeliste für den Ort Hellental von 1877; ermächtigter Gemeindeerheber E. Seitz; in Fotokopie überlassen von Eugen Meyer, Heinade-Hellental, bei der Öffentlichen Versicherung Braunschweig, Holzminden (08/2004).

[8] "Braunschweigisches Landesadreßbuch 1895"; in Fotokopie überlassen aus der Privatsammlung von Friedrich Schütte, Holzminden (2003).

[9] NÄGELER/WEBER 2004.

[10] zit. in LESSMANN 1984.

[11] LAMBRECHT 1863, S. 706.

[12] Zusammenstellung von Heinrich Seitz, Hellental - Webpage-Bearbeitung Dr. Klaus A.E. Weber, Hellental 12/2019.

[13] KA HOL 1054.

[14] Blog-Artikel des Schweizerischen Nationalmuseums vom 05. November von Alexander Rechsteiner, Studium der Anglistik und Politikwissenschaften, Kommunikation des Schweizerischen Nationalmuseums.

[15] überlassen von Maik Schäfer, Deensen.

[16] Möglicherweise handelt es sich genalogisch hierbei um Johann Daniel Kuhlmann (✶ 1774).