Bernhard Lehmann 1929-1941 │ 1948-1950

Klaus A.E. Weber │ Christel M. Schulz-Weber

 

Bernhard Lehmann

  • Geboren am 08. Januar 1905 in FinsterwaldeNiederlausitz

  • Dienstantritt als Hilfslehrer in Hellental: 10. April 1929

  • Festanstellung in Hellental: 01. Januar 1932

  • Abordnung an eine Lehrerbildungsanstalt (?): 1941 – 1942

  • Soldat in der Ägäis: ab 1943

  • englischer Kriegsgefangener in Ägypten: 1945 - 23. August 1947

  • "Entnazifizierung" 1947

  • Wiederantritt der Stelle in Hellental: 01. Juni 1948

  • Dienstende in Hellental: 31. März 1950

  • Versetzung als Hauptlehrer nach Golmbach: 01. April 1950

 

Lehrer Bernhard Lehmann mit seinen Schüler*innen

Hellental 1932

© Historisches Museum Hellental

 

1947 - "Entnazifizierung" und politische Einflussnahme [2]

Bernhard Lehmann wurde "nach 4-jähriger Abwesenheit" am 23. August 1947 "aus englischer Kriegsgefangenschaft" entlassen.

Wohl als Mitglied in der NSDAP war er in der britischen Besatzungszone "durch eine englische Screenig-Kommission nach seinen eidesstattlichen Erklärungen politisch 'B' eingestuft worden".

Mit Schreiben vom 03. November 1947 bat der Schulvorstand der Gemeinde Hellental unter Vorsitz von August Meier - mit Unterstützung des örtlichen SPD-Ortsverbandes - den Landrat Poth in Holzminden wegen des dortigen "schulischen Notstandes" Herrn Lehmann vor Abschluss seines "Entnazifizierungsverfahrens" wieder als Lehrer in der Gemeinde einzusetzen "oder die Abwicklung des Verfahrens weitgehend zu beschleunigen".

Am 27. November 1947 teilte der Entnazifizierungsausschuss des Kreises Holzminden unter dem Vorsitz von Herrn Lichter dem Holzmindener Landrat Poth mit, "daß das politische Überprüfungsverfahren des Lehrers Bernhard Lehmann, Hellental, abgeschlossen worden ist" und "vorbehaltlich der Bestätigung durch die Militärregierung keine Bedenken gegen die Wiedereinsetzung des Lehrers Lehmann in sein Amt" bestehen.

 

Lehmann's Bericht vom 25. April 1949 [1]

In einer schicksalschweren Zeit beginne ich diesen kleinen Band zu schreiben, der die Chronik der Gemeindeschule Hellental enthalten soll und interessierten Menschen jederzeit Aufschluß geben kann über die Entwicklung und Verhältnisse unserer Schule, über Tage der Freude und Tage der Not.

Am 10. April 1949 waren es genau 20 Jahre her, als ich aus der Mark Brandenburg in dieses anmutige „Tal der Lieder“ kam und diesen Erziehungsauftrag an der hiesigen Schuljugend erhielt.

Das ist immerhin schon ein beträchtlicher Zeitabschnitt voll inhaltsreichen Erlebens.

Nach Feststellungen bin ich in Hellental der Lehrer, der bislang die höchste Zahl von Jahren tätig bin.

Schon sitzen in der Klasse bereits wieder die Kinder ehemaliger Schüler und Schülerinnen vor mir.

Bei meinem Dienstantritt am 10.04.1929 lag noch keine Schulchronik vor.

Lediglich 2 Protokollbücher von den Sitzungen des Schulvorstandes und einige verstaubte Akten fand ich vor.

Die verflossenen 20 Jahre habe ich benutzt, ohne dienstlichen Auftrag eine Chronikmappe anzulegen, die Zeitungsabschnitte, Schülerbriefe, Bildmaterial und Liedgut enthält.

Diese Sammlung bleibt auch weiterhin erhalten und ist Bestandteil dieser Chronik.

Mögen beide Teile immer einen Einblick in das Auf und Ab der Zeiten mit ihren Hoffnungen und ihren Wirren gewähren.

 

Schüler*innen in Hellental 1938

© Historisches Museum Hellental

 

Hellental ist anläßlich der Gründung einer Glashütte auf „herrschaftlich“ braunschweigischem Forstgrund im Jahre 1728 entstanden.

Im Schulgarten und auf dem alten Friedhof kann man noch Glasreste gelegentlich finden.

Die ersten Einwohner sind zweifellos aus Glashüttenorten am Harz gekommen.

Da das Tal Feldmark der Nachbardörfer Merxhausen und Mackensen war, bauten sie ihre kleinen Sollinghäuser an den steilen Hang einer Seitenmulde, die nach und nach abgeholzt und zu landwirtschaftlicher Nutzung urbar gemacht wurde.

Das jetzige Kapellengebäude soll der Speisesaal der Glashütte gewesen sein.

Als die Glashütte nach wenigen Jahrzehnten wegen Absatzschwierigkeiten infolge der abgelegenen Lage einging, wurden die Einwohner, die sich in diesem stillen, idyllischem Tal wohl fühlten, Waldarbeiter, Leineweber und Steinbruchsarbeiter.

Im Zeitalter der Entstehung von Fabrikbetrieben mußte sich die Zunft der Leineweber jedoch auch anderer Beschäftigung zuwenden.

Zum Teil fanden sie im Wald, zum Teil in den Steinbrüchen, Ziegeleien und Sägewerken der Nachbarschaft oder gar den Sommer über in der Fremde Arbeit und Brot.

Wenn übrigens die Leineweber ein Vergnügen hatten, blieben die Holzhauer fern; und auch umgekehrt.

Doch im allgemeinen wohnt hier ein verträgliches und sehr arbeitsames Völkchen, das gern einmal vergnügt und auch gastfreundlich ist.

Unter einer mitunter rauhen Schale verbirgt sich zumeist ein gesunder, guter Kern.

Die Zeit, daß Hellental in der Nachbarschaft wegen eines Hanges zu Raufereien und gelegentlichen Wilddiebsgeschichten bekannt und gefürchtet war, gehört der Epoche vor dem ersten Weltkrieg an.

Heutzutage ist man hier nicht weniger sittsam und friedlich als anderwärts auch.

Heinrich Sohnrey war ein Freund des Dorfes und schildert seine Einwohner in seinen Büchern „Tschiff, tschaff, toho“ und „Die Sollinger“.

Sitten, Brauchtum und alte Leute, denen man die Gabe, das Vieh zu besprechen nachsagte, hatten es ihm besonders angetan.

Hermann Löns hat Hellental den Ruf eines „Tales der Lieder“ gegeben.

Er ist vor dem ersten Weltkrieg verschiedentlich beim Gastwirt Timmermann zu Gast gewesen, hat die Schönheit der Landschaft in einer kleinen Skizze „Das Tal der Lieder“ beschrieben und das Lied „Die 7 Birken“ aus seinem Erleben unter den sangesfreudigen Hellentalern geschaffen.

Die schönen Stimmen und die Liebe zum Singen und Musizieren bei den vom großen Strom des brausenden Lebens nicht berührten, haben beide Dichter zweifellos sehr beeindruckt.

Sohnrey schenkte den Hellentalern das seinen Kulturarbeiterinnen gewidmete Lied, das bei festlichen Anlässen stets gesungen wird.

1910 hat das Dorf etwa 750 Einwohner gehabt, zumeist sehr kinderreiche Familien; in diesen Jahren ungefähr 150 Schulkinder.

Zur Zeit zählt das Dorf rund 550 Menschen, davon etwa 200 Flüchtlinge, zumeist aus Schlesien, einzelne aus Ostpreußen und Westpreußen.

In die Schule gehen Ostern 1949 51 einheimische und 46 Flüchtlingskinder.

Das Schulgebäude wurde im Jahre 1889 errichtet.

Das alte hatte an derselben Stellen gestanden, soll aber zuletzt sehr baufällig gewesen sein; in der Stube des Schulmeisters war die Decke durch Balken gestützt.

1903 wurde der Seitenflügel gebaut, der die 2. Klasse und die 2. Dienstwohnung enthält.

1929 kam ich, Bernhard Lehmann, geb. 8.1.05 in Finsterwalde Nd.-Laus.als Hilfslehrer nach Hellental.

Im Dez. legte ich hier die 2. Prüfung bei Ministerialrat Böse und Schulrat Grupe ab und wurde am 1.1.32 fest angestellt.

Die 2. Lehrerstelle war Ostern 1931 aufgegeben worden, weil die Kinderzahl auf insgesamt 35 zurückgegangen war.

Im Juli 1932 heiratete ich meine Frau, die aus dem Rheinland stammt und zuletzt in Berlin tätig gewesen war.

Unser einziger Sohn wurde 1935 geboren, er heißt Manfred und besucht zur Zeit eine höhere Privatschule in Dassel.

1941-42 war ich an eine Lehrerbildungsanstalt abgeordnet und ab 1943 Soldat in der Ägäis.

Ab Kriegsende war ich als Kriegsgefangener in Ägypten bis August 1947.

Am 1. Juni 1948 trat ich meine alte Stelle in Hellental wieder an.

Seit meinem Weggang ist Frau Themsfeldt aus Lessau als Lehrerin an der hiesigen Schule tätig.

Bei meiner Wiedereinstellung wurde die 2. Lehrerstelle aufs neue eingerichtet und durch Frau Th. besetzt.

Sie betreut im wesentlichen die Kinder der Grundschule.

Im Herbst 1948 waren mir von der Hochschule 2 Studentinnen zur Ableistung ihres Landschulpraktikums zugeteilt.

Ein gemeinsam vorbereiteter und durchgeführter Elternabend in Anwesenheit von Herrn Schulrat Kümmel und einer Dozentin aus Göttingen war ein voller Erfolg, ein Programm liegt der Mappe bei.

Ostern 1949 wurden nur 2 Knaben aus der Schule entlassen, 7 weitere Kinder wurden aus schulischen und sozialen Gründen bis Ostern 1950 beurlaubt.

Sie hätten sonst 8 ½ Jahre zur Schule gehen müssen.

Meine Frau übt ohne Unterbrechung seit 1932 den Organistendienst aus, ich bin ehrenamtlicher Sparpfleger der Br. Landessparkasse.

Wir bewirtschaften ½ Morgen Kartoffelland und 1 ½ Morgen Wiese; die andere Hälfte ist zur Zeit noch an andere Einwohner verpachtet.

Wir halten uns einige Hühner, eine Gans und zwei Ziegen.

Im Sommer kaufen wir uns seit Jahren zum Weiterfüttern und zur späteren Hausschlachtung ein Schwein.

Seit 1935 haben wir ohne Unterbrechung jährlich ein Schwein geschlachtet.

Wir haben einen kleinen Obstgarten oberhalb des Schulgrundstückes und einen Gemüsegarten unterhalb der Schule, im ganzen etwa 300 qm.

Seit 1932 ist die Wohnung über der 2. Klasse an Einwohner aus dem Ort vermietet.

Gleichzeitig wohnen 3 Flüchtlingsfamilien zur Zeit im Haus.

Sie wurden 1945 eingewiesen.

Ich zahle monatlich 28 DM Miete, für die 2. Wohnung wird monatlich an die Gemeinde der Betrag von 12 DM gezahlt.

Seit 1946 wird eine Schulspeisung aus Mitteln der Besatzungsmächte durchgeführt.

Die Kinder bekommen dadurch täglich in der großen Pause eine warme Mahlzeit für etwa 10 Gr.

Es nehmen zur Zeit 40 Kinder daran teil.

1929 wurde in die Schule elektrisches Licht gelegt, nachdem das übrige Dorf schon 1 oder 2 Jahre zuvor angeschlossen worden war.

Als wir einzogen, mußten wir noch die Petroleumslampe benutzen.

Jetzt haben wir auch die Möglichkeit, durch ein schuleigenes Gerät Schulfunksendungen abzuhören und mit Hilfe eines Schmalfilmgerätes Lehrfilme der Kreisbildstelle zu zeigen und dadurch den Unterricht abwechslungsreicher und anschaulicher zu gestalten.

Unsere Schülerbücherei umfaßt nach erheblichen Verlusten während des Krieges etwa 150 Bände.

 

Einschulung in Hellental um 1938

© Historisches Museum Hellental

 

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[1] NLA WO, 99 N 691.

[2] KreisA HOL 1059.