Dunkle schwarz-braune Jahre 1933-1945

Klaus A.E. Weber

 

NS in Hellental

Positivbild von Foto-Glasplatte (Negativbild) [1]

© Historisches Museum Hellental

 

Der Aufstieg der Nationalsozialisten mit ihrer völkischen Ideologie in Hellental

Auch die Hellentaler Dorfbevölkerung wurde mit den sich etablierenden Nationalsozialismus und dem hieraus resultierenden staatlichen Antisemitismus mit seiner Agitation in ihrem Alltagserleben unmittelbar konfrontiert.

Ereignisse und ihre Wirkungen der nationalsozialistischen Diktatur auf das politische und gesellschaftliche Leben und Handeln in dem abgelegenen Sollingdorf Hellental sind derzeit komplexer Gegenstand einer historischen Aufarbeitung.

Einen umfassenden Überblick zum Aufstieg und zur Herrschaft der Nationalsozialisten im Weserbergland zwischen 1921 und 1936 bietet das Buch von REICHARD/SCHÄFER.[10]

Zur nationalsozialistischen Propaganda im Kreis Holzminden von 1930 bis 1932 wird auf einen etwa gleichlautenden Aufsatz von SEELIGR [4] verwiesen.

 

Propaganda-Versammlung am Hellentaler Mühlenteich mit "Braunhemden" der SA und Nazigrößen

um 1932

Die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus (NSDAP) greift auch in Hellental zunehmend um sich.

© Historisches Museum Hellental

 

"Das Umschlagen von Zivilisation in Barbarei" [13]

Phase der braunen menschenverachtenden nationalsozialistischen Gewaltherrschaft

Seit 1930 beherrschten Nationalsozialisten das Land Braunschweig und somit auch in die hier betrachtete DORF:REGION.

Bereits ab 1930 war Merxhausen mit 45,5 % zu einer kleinen ländlichen Hochburg der Nationalsozialisten geworden; bei den Reichstagswahlen 1932 und 1933 stieg der Stimmenanteil der NSDAP auf 70,5 % bzw. 88,9 %.[11]

Nach einem Zeitungsbericht marschierten am 03. April 1932 von Merxhausen aus "unter dem Vorantritt der SA-Kapelle Sievershausen (...) 160 SA- und SS-Leute sowie Angehörige der Hitlerjugend neben ebenso vielen Mitgliedern und Anhängern der Partei nach den Ortschaften Heinade und Hellental" - möglicherweise "unter dem Vorantritt der Hakenkreuzfahne bei dem Gesange nationalsozialistischer Kampflieder" oder "mit den üblichen Kampfliedern".[6]

In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass am 03. April 1932 in Merxhausen ein "Deutscher Abend" als Propagandaaktion veranstaltet worden war; Ortsgruppenführer war in Merxhausen Karl Dörries jun.[7]

Für Hellental ist als größere nationalsozialistische Propaganda-Veranstaltung ein "Deutscher Tag" mit politischen Reden "erst" für den 23. Oktober 1932 (Sonntag) überliefert, am gleichen Tag auch für Heinade.[5]

 

Hausdurchsuchungen 1933

Am 18. März 1933 führten im Zeichen des nationalsozialistischen Terrors drei Landjäger und 15 SS- und SA-Leute abends gegen 18 Uhr Hausdurchsuchungen bei SPD-Funktionären und SPD-Mitgliedern in dem abgelegenen Waldarbeiterdorf Hellental durch - bei eher bescheidener "Ausbeute".[12]

Laut Angaben der Polizei seien neben sozialdemokratischen Schriften und Parteibüchern, eine schwarz-rot-goldene Fahne, einige Wimpel, zwei Trommeln, drei Flöten sowie ein Militärgewehr gefunden worden.[12]

 

Denunziant 1932

Als ein "maßgeblicher Denunziant" in jener Zeit ist der Parteibuchbeamte Paul Timmermann aus Hellental zu benennen, der im Frühjahr 1932 seinen Dienst in der "Landeserziehungsanstalt Bevern" antrat.[3]

 

Hellentaler Bürgermeister Otto Roloff

© Historisches Museum Hellental

 

NSDAP-Mitgliedschaft

Eines der wenigen versteckt erhalten gebliebenen, nicht (durch Verbrennen) beseitigten Dokumente der NSDAP-Mitgliedschaft eines Hellentaler Bürgers:

Mitgliedsbuch des Forstwarts/Waldarbeiters und SA-Oberscharführers im Sturm 6/230 Karl Julius Hermann Greinert (* 19. August 1891 in Hellental), eingetreten am 01. Mai 1933.[9]

Greinert war Mitglied der Braunhemden der SA - mit auffälliger Verkörperung des Nationalsozialismus.

 

Waldarbeiter Julius Greinert (* 1891)

1936

© Historisches Museum Hellental

 

Parteiabzeichen der NSDAP │ Ø 18 mm │ Kupfer

Umschrift: NATIONAL-SOZIALISTISCHE-D.A.P.

Bodenfund in Hellental 12/2019

© Historisches Museum Hellental

 

Wahlergebnisse von Hellental bei den Reichs- und Landtagswahlen

1924-1933

Orientierende Hinweise zum Aufstieg der Nationalsozialisten bei den Wahlen 1924-1933 im Kreis Holzminden und in der Gemeinde Hellental sind bei BÖKE [3] und SEELIGER [4] zu finden.

Übersicht und Zusammenstellung nach Angaben von BÖKE [3]

Wahlakt: Reichstagswahl: RTW │ Landtagswahl (Land Freistaat Braunschweig): LTW

  • "Linke": Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) │ Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) │ Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)
  • "Rechte": Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP)

 

 

RTW

1924

04.05.

RTW

1924

07.12.

LTW

1924

07.12.

LTW

1927

27.11.

RTW

1928

20.05.

RTW

1930

14.09.

LTW

1930

14.09.

RTW

1932

31.07.

RTW

1932

06.11.

RTW

1933

05.03.

SPD/

USPD

gesamt

76,1 %

77,0 %

79,7 %

88,2 %

76,2 %

68,2 %

68,1 %

21,7 %

48,6 %

42,7 %

SPD/

USPD/

KPD

gesamt

80,2 %

77,4 %

81,0 %

88,2 %

80,3 %

78,5 %

77,8 %

49,8 %

53,8 %

45,2 %

NSDAP

1,6 %

0,0 %

0,0 %

0,0 %

0,8 %

21,7 %

10,6 %

49,0 %

45,3 %

53,9 %

 

Die verfügbaren Dokumente und Daten belegen die sukzessive Zerstörung der Weimarer Republik durch die vernichtende Diktatur des antisemitischen/antijüdischen, antidemokratischen und antirepublikanischen Nationalsozialismus und seiner Kräfte auf kommunaler Ebene, so auch in Hellental.

 

Siegel des Standesamtes Hellental im Kreis Holzminden

1942

© Historisches Museum Hellental

 

1934

NS-HAGO Ortsgruppe Merxhausen

1933 war der nationalsozialistische Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand in die Nationalsozialistischen Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisationen (NS-HAGO) überführt worden.

Im benachbarten Merxhausen etablierte sich in diesem Zusammenhang eine NS-HAGO Ortsgruppe.

Ein anschauliches Dokument zur lokalen Einwirkung und zum ideologischen Sprachgebrauch nationalsozialistischer Machtstrukturen stellt der Bericht der „NS-HAGO Ortsgruppe Merxhausen“ vom 29. Januar 1934 an die Kreisleitung der NS-HAGO Holzminden dar, das hier auszugsweise mit bereinigten Rechtschreibfehlern zitiert wird.[14]

Dabei geht es in einem Rechtsstreit zwischen dem Hellentaler Schuhmacher Erich Brakmann (Heinrich Daniel Erich Brackmann │ * 31. Mai 1898 in Hellental [15]) und der Kreisdirektion Holzminden um die Erlaubniserteilung zum Kleinhandel mit Spirituosen.

"Dem Kaufmann Erich Brakmann, Hellental, ist die Erlaubnis zum Kleinhandel mit Spirituosen zu versagen und zwar aus folgenden Gründen.

Durch die überwiegend sozialdemokratisch eingestellte und im Konsum-Verein kaufende Bevölkerung Hellentals wurde dem Brakmann in den letzten Jahren derartig der Rücken gestärkt, dass er glaubte, die beiden anderen Kolonialwarengeschäfte und die beiden Gastwirtschaften ruinieren zu können.

Trotzdem Brakmann vor ca. 3 Jahren in die Partei eintrat, hat sich bis heute noch nichts in seiner Handlungsweise als ehemaliger Marxist geändert.

Auch heute versucht er noch immer durch sein als Konsum-Lagerhalter erworbenes Kapital die Kunden an sich zu fesseln und durch den Handel mit Spirituosen die Gaststätten zu schädigen.

Und ist es bereits so weit gekommen, dass man beobachten konnte, wie des Öfteren Personen aus seiner Wohnung heraus kamen, die nicht mehr  ganz nüchtern waren, was zumindest zu dem Schluss führen muss, dass Brakmann Schnaps glasweise verkauft und zwar billiger als die Gastwirte.

Da außerdem jedem Kolonialwarenhändler der Handel mit Spirituosen untersagt, bei Brakmann keinerlei Bedürfnis dafür vorliegt, dieses zu erlauben, muss ihm dieses traurige Überbleibsel aus seliger Konsumvereinsmeierei unbedingt entzogen werden.

Was seinen Kolonialwareladen anbetrifft, wäre es auch da ratsam, diese Stätte ehemaliger Marxistischer Kalendermacherei auszuheben, da Br. von Beruf Schuhmacher ist, 2 Kolonialwarengeschäfte noch am Orte bestehen, und man heute noch nicht weiss, wie lange es noch dauern wird ,bis diese beiden Geschäfte der Konkurrenz, von Br. zum Opfer gefallen sind.

Denn wer vorher zum Konsum lief, läuft heute auch noch dorthin.

Und unsere alten Parteigenossen können mit diesem Kapitalisten nicht aushalten.

Daher wäre es ganz angebracht, jetzt die Revolution auch hier ganz zu beenden."

Der Kreisamtsleiter der NS-HAGO schrieb daraufhin am 31. Januar 1934 an die Kreisdirektion Holzminden:

"Obenstehend überreiche ich Ihnen urschriftlich einen Bericht des O.A.L. Pg. Kraus, Merxhausen, welchen ich zur eindeutigen Klärung in dieser Sache von dort einholte.

Ich habe dem nichts hinzuzufügen, da ich gewohnt bin mich auf meine von mir eingesetzten O.A.L. und die mein volles Vertrauen haben. zu verlassen.

Ich lehne also dementsprechend die Erteilung des Kleinhandels mit Branntwein an Brakmann ab."

 

Pogrome 1938

80 Jahre Erinnerung

November 2018: 80 Jahre Erinnerung an die Opfer des antijüdischen Pogroms vom 9./10. November 1938

Vom 09. auf den 10. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen – so auch in der Kreisstadt Holzminden.[8]

Organisierte Schlägertrupps setzten jüdische Geschäfte und Gotteshäuser in Brand und tausende Juden wurden misshandelt, verhaftet oder getötet.

Spätestens an jenem Tag war für alle Bürger*innen von Hellental zu sehen, zu erleben und im „Täglichen Anzeiger Holzminden“ zu lesen, wie Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren.

 

Arbeitsbuch Nr. 100 Ho/8235 │ Hellental

 

⊚ Zum Anklicken

Aus dem Arbeitsbuch Nr. 100 Ho/8235 nach dem NS-Gesetz

vom 26. Februar 1935 (RG Bl. I S. 311)

© Historisches Museum Hellental

 

Das Arbeitsbuch Nr. 100 Ho/8235 einer Hellentaler Frau spiegelt wieder, dass, nachdem am 30. Januar 1933 die NSDAP zur Macht gelangt war, im Jahr 1938 Wilhelm Kübler die 1869 gegründete, nunmehr im Regime des Nationalsozialismus „arisierte“ Weberei Rothschild in Stadtoldendorf übernahm.

Drei der vier jüdischen Gesellschafter der Weberei wurden wegen angeblichem  „Devisenvergehen und Volksverratsverbrechen“ zu Zuchthausstrafen verurteilt und nach ihrer Haftverbüßung von der Geheimen Staatspolizei Braunschweig in das ab 1936 eingerichtete Konzentrationslager Sachsenhausen nahe Berlin verbracht.

 

Krankenpflegekurs 1938

 

Erinnerung an den Krankenpflegekursus im Jahre 1938

© Historisches Museum Hellental

Minna Greinert (Irenes Mutter), Frieda Bitter, Schwester Walla, Emilie Eikenberg (Putzer), Frau Brakmann (Hecker), Anna Hempel (Elisabeth Dittrichs Mutter), Rieke Düwel, Minna Greinert, Frieda Eikenberg, Johanne Gehrmann, Lisa Schulte, Emma Bönig, Ernee Mengler ?, Berta Greinert (Forstwart), Frau Lehmann, Auguste Zinkler, Herta Brünig, Minna Maier, Erna Brackmann (Laden), Frieda Greinert, Joh. Siebers (Oma), Edith Eikenberg, Herta Eikenberg, Erna Sturm, Mariechen Köke

 

__________________________________________________________

[1] Die Fotografie wurde von Rolf Sievers (Eitorf/Mühleip) dem HISTORISCHEN MUSEUM HELLENTAL überlassenen Fotoglasplatten übernommen (Scan); Aufnahme auf Eisenberger Ultra Rapid Platten │ Eisenberger Trockenplattenfabrik │ Otto Kirschten – Eisenberg i. Thür. │ SOLLINGHAUS Weber.

[2] BÖKE 2005, S. 45-72. Die von BÖKE [2005, S. 66-67.] veröffentlichte tabellarische Darstellung der gemeindlichen Wahlergebnisse bezieht sich allerdings ausschließlich auf die im Täglichen Anzeiger Holzminden (TAH) wiedergegebenen Wahlergebnisse: Landtagswahl 1924 und 1927, Reichstagswahl 1924, Reichspräsidentenwahl 1925.

[3] SEELIGER 2010, S. 85-87.

[4] SEELIGER 2008a, S. 1-30.

[5] SEELIGER 2008a, S. 11.

[6] zit. in SEELIGER 2008a, S. 17. Nach SEELIGER ist dem Zeitungsbericht allerdings nicht zu entnehmen, woher die SS-Leute am 03. April 1932 in Merxhausen stammten (S. 19).

[7] SEELIGER 2008a, S. 24-25.

[8] TAH vom 08.11.2018, S. 13.

[9] Archiv des Museums SOLLINGHAUS.

[10] REICHARDT/SCHÄFER 2016.

[11] REICHARDT/SCHÄFER 2016, S. 87, 240.

[12] REICHARDT/SCHÄFER 2016, S. 253.

[13] GIETINGER 2019.

[14] KA HOL 1050.

[15] NÄGELER/WEBER 2004, S. 542 Ziff. 548.