Old economy

Klaus A.E. Weber

 

Die armen Bauern? Wachsen oder weichen?

Die Zukunft der Landwirtschaft [1]

"Wenn alles bleibt,

so wie es ist,

kräht bald kein Hahn

mehr auf dem Mist" [2]

 

Bäuerliche Hofwirtschaft │ Bauernklassen │ Agrarische Modernisierung

 

Freilaufende Landhühner mit Hahn (Lakenfelder Huhn)

LWL-Westfälisches Freilichtmuseum Detmold

2008

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Entwicklungen und Strukturen ländlichen Arbeitens und Lebens

Im sächsischen Siedlungsgebiet etablierte sich vor mehr als 1.000 Jahren die Grundherrschaft, basierend auf der Verfügungsgewalt über Land und Leute.

Dies sollte im Wesentlichen über gut 1.000 Jahre so bleiben.[4]

Ein Charakteristikum der mittelalterlichen Landwirtschaft und Grundherrschaft bestand in dem Nebeneinander verschiedener Formen der Agrarverfassung auf engstem Raum.

Verschiedene Herren erschlossen sich in derselben Phase, in welcher Städte anwuchsen oder gegründet wurden, durch Rodung neue Areale, „in denen sie abgabepflichtige Bauern ansiedelten“.[5]

Während des 12./13. Jahrhunderts, also in jenem Zeitraum, in dem wahrscheinlich die Vorläufersiedlungen von Heinade und Merxhausen bereits als kleinere Haufendörfer angelegt waren, setzte sich nach HAUPTMEYER [6] in einem „bemerkenswerten Wandel“ die Verbreitung schon länger bekannter Agrartechniken flächenhaft durch, so wohl auch zwischen dem nördlichen Sollingrand und dem Holzberg:

  • „die wachsende Bedeutung des Getreidebaus gegenüber der Viehwirtschaft („Vergetreidung“),
  • die allmähliche Verbreitung neuer oder veränderter landwirtschaftlicher Geräte (eisenbeschlagener schollenwendender Räderpflug (Beetpflug), Egge, Sichel für Getreide, Sense für Gras, Dreschflegel, Eisen-Axt),
  • die bessere Ausnutzung der tierischen Arbeitsenergie (Stirnjoch oder Nackenkummet für Rinder, Brustanspannung und Hufbeschlag für Pferde, allmähliches Vordringen der Pferde- gegenüber der Ochsenbespannung),
  • die optimierte Bodenbearbeitung (Düngung und Lockerung durch Mergel, Verwendung tierischen Düngers),
  • die wenigstens auf besseren Böden sich durchsetzende Mehrfelderwirtschaft.“

Im 9. Jahrhundert erbrachten zwei ausgesäte Getreidekörner nur etwa drei Körner Ernte (1:1,5), im 12. Jahrhundert betrug die Relation bereits 1:2,5 – 1:3.[6]

Besaß die Landwirtschaft noch im 12. Jahrhundert eine deutlich höhere Ertragskraft, so kam es nach 1450 zu einer merklichen Absenkung der durchschnittlichen Jahrestemperatur („Kleine Eiszeit“).

Als unmittelbare Folge der von 1450-1850 anhaltenden klimatischen Abkühlung trat eine wesentliche Verringerung der Ernteerträge ein.[7]

 

Mehrfelder-Bewirtschaftungssysteme

Wurden zunächst neue Flächen abgebrannt und bestellt, wenn die Ackerböden ausgelaugt waren, so folgte dann als neue Bewirtschaftungsform die als „Dreifelderwirtschaft“ betriebene Landwirtschaft.

Bei dem Dreifelder-Wirtschaftssystem wurde das durchweg schmale und lange Ackerland einigermaßen gerecht in eine Wintergetreide-, Sommergetreide- und Brachflur eingeteilt.

An jedem der drei Felder besaß jeder Hof seinen ihm adäquaten Anteil.

Ein Vorteil dieses Bewirtschaftungssystems lag darin, dass dem Ackerboden durch den Wechsel zwischen Sommer- und Wintergetreide unterschiedliche Nährstoffe entzogen wurden.

as Brachfeld wurde zum einen teilweise mit Flachs, Kohl oder Erbsen und Bohnen bestellt, zum anderen von der Viehherde des Dorfes abgehütet.

Es gab aber auch Misch-, Übergangs- und abweichende Bewirtschaftungsformen.

Letztlich verlangten die Mischfelder-Wirtschaftssysteme die Zusammenarbeit der Bauern einer Siedlung, wobei zwar einerseits die Zusammenarbeit von Bauern in einem Dorf gefördert wurde, andererseits durch die unterschiedliche Aufteilung von Flur und Gemeinheit (Allmende) die soziale Ungleichheit im Dorf zunahm.[8]

Zu Beginn der frühen Neuzeit waren die besten landwirtschaftlichen Flächen verteilt und Neurodungen rechtfertigten meist nicht den Kultivierungsaufwand.

Im Braunschweiger Weserdistrikt wurde die Ausdehnung von Feldmarken in die Hanglagen äußerst schwierig.

Auch während der frühneuzeitlichen Epoche lebte die Mehrzahl der Menschen (ca. 75-80 %) fast ausschließlich von der Bewirtschaftung von Grund und Boden, eingedenk

  • begrenzter Ertragslagen
  • verbreiteter Agrarkrisen
  • Bevölkerungsschwankungen.

In jener Epoche dominierte noch die Agrargesellschaft, in der die Grundherren – die Landesherrschaft [9], der Adel und die Klöster - zunächst die bäuerliche Produktion, später dann die Arbeitsleistung, Naturalabgaben und zunehmend Geld vereinnahmten.[10]

 

"Holzbergwiesen" mit Resten mittelalterlicher Wölbäcker

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

Wölbäcker

Ausdruck des alltäglichen mühevollen bäuerlichen Wirtschaftens in der Dreifelderwirtschaft sind u.a. die „Wölbäcker“.

Sie sind dadurch charakterisiert, dass sich durch das Zusammenpflügen eines Ackerlandes in der Mitte ein Rücken bildete und somit das Wasser nach den Furchen zwischen den Ackerstücken abfließen konnte.

Zahlreiche solcher Wölbacker-Systeme sind als Relikte dieser alten Form des Ackerbaus noch heute am Holzberg nahe Heinade auszumachen.

 

„Kopfsteuerbeschreibung“

Landesherrschaften versuchten durch höhere Steuern die wachsenden Bauerneinkommen abzuschöpfen.[11]

So ließ auch Herzog Rudolf August zur Deckung seines defizitären Militärhaushaltes am 13. Juli 1678 kurzfristig eine außerordentliche Steuer in seinem Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel ausschreiben.

Pflichtgemäß wurden sämtliche Steuerpflichtigen durch die lokale Obrigkeit in Listen eingetragen.

Die Steuerbeträge waren danach der fürstlichen Kriegskasse zuzuführen.

Hieraus entstand die so genannte Kopfsteuerbeschreibung von 1678 („Kopfsteuer“), die als unverzichtbare historische Quelle vielseitig auswertbar ist.

Sie umfasste Haushalt für Haushalt alle steuerpflichtigen Personen des ehemaligen Landes Braunschweig nach ihren Wohnorten.

Hinzu kamen Angaben zum Beruf des Familienoberhauptes.

Jede Person, ob Familienoberhaupt, Ehefrau, steuerpflichtiges Kind, Knecht, Magd, Geselle oder Lehrjunge, hatte die auferlegte Abgabe ("extraordinari Anlage") zu entrichten, mit Ausnahme von Kindern bis zu 12 Jahren, die Geistlichkeit und zum Militär eingezogene Personen.[12]

Die durch die „Kopfsteuerbeschreibung“ erfassten Personen von Heynade und Merxhaußen sind in den historischen Dorfbetrachtungen hinterlegt.[13]

 

Ungünstige Bodenverhältnisse und spärliche Ernteerfolge

Bereits auf kleinem Areal wurde der Saat- und Erntebeginn wesentlich durch das Klima und die Höhenlage bestimmt.

Bei den ungünstigen Bodenverhältnissen des Mittleren Buntsandsteins dienten im Solling bereits im Mittelalter die mehr oder minder lichten Buchen- und Eichenwälder zur landwirtschaftlichen Nutzung als Waldweide für Rindvieh, Schafe und Schweine.

Im Herbst waren die einst zahlreichen Eicheln und Bucheckern geeignetes Mastfutter für die Schweine.

Bis in unserer Zeit hinein bildet das Grünland mit seinen Wiesen weitgehend das charakteristische Landschaftsbild der hier betrachteten Region des nördlichen Sollingrandes und Holzberges.

Die Anbauverhältnisse der Dreifelderwirtschaft waren im 18. Jahrhundert durch eine fast ausschließliche Körnerwirtschaft geprägt, wobei der Kulturpflanze Roggen auf Grund seiner guten Anbaubarkeit die vorherrschende Getreideart war.

Im späten 18. Jahrhundert war es regional üblich, als „Winterfrüchte”

  • Roggen
  • Weizen
  • Wintergerste

anzubauen, als „Sommerfrüchte” oder „Sommergewächse”

  • Hafer
  • Erbsen
  • Bohnen
  • Wicken
  • Flachs
  • Heu/Grummet
  • Futterkräuter
  • Kartoffeln.

Um 1883 waren im Kreis Holzminden die Acker- und Gartenflächen je 1.000 ha bestellt mit

  • 226 ha Roggen
  • 205 ha Hafer
  • 103 ha Weizen
  • 35 ha Gerste.[14]

Die jährliche Heuwerbung und Getreideernte erfolgte unter Einsatz der scharfen Sense, das Heuwenden mit dem Heurechen und der Heugabel.

Das Getreide wurde auch mit der Sichel geschnitten oder gar mit der bloßen Hand abgerafft.

Zum Einfahren des Heues und Getreides wurde ein von Kühen gezogener Leiterwagen benutzt.

Der ohnehin eher spärliche Ernteerfolg war regional immer bedroht von

  • Frösten (Frühjahrs- und späte Nachtfröste)
  • Nässe (anhaltender Regen)
  • Überschwemmungen
  • „Sturmwinden”.

So kam es beispielsweise am Ende des 18. Jahrhunderts in der hier betrachteten Region zu einem erheblichen Mangel an Viehfutter.

 

Fahrbares Hochdruck-Lokomobil mit Lokomotivkessel

Firma Th. Flöther AG │ Typ LH │ 1924

Betrieb einer Dampf-Dreschmaschine im Freilichtmuseum Hessenpark

Oktober 2018

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

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[1] FRANKFURTER RUNDSCHAU 2020.

[2] Der provozierende Spruch stammt aus einer nach Protesten von Bauern zurückgezogenen Plakatkampagne des Umweltministeriums von 2017.[1]

[6] HAUPTMEYER 1995.

[7] PARTISCH 2005, S. 16 f.

[8] HAUPTMEYER 1995; RAULS 1983, S. 113.

[9] Der Landesherr war nach HAUPTMEYER [2004, S. 89] in ca. 90% der Fälle zugleich auch Grundherr (Amt).

[10] RÖSENER 1997.

[12] MEDEFIND 2000.

[13] NLA WO:

2 Alt 10534 Amt Fürstenberg [MEDEFIND 2000, S. 198].

2 Alt 10535 Amt Holzminden [MEDEFIND 2000, S. 281].

2 Alt 10539 Amt Wickensen [Medefind 2000, S. 463].

[14] KNOLL/BODE 1891, S. 116.