Hellentaler Senke als historischer Grenzraum

Klaus A.E. Weber

 

Der „Hellentaler Grabenbruch”

Aus der Satellitenansicht imponiert das Hellental als nordöstliches Teilgebiet eines schmalen Grabenverlaufes innerhalb des Sollingmassivs, dem tiefen „Derental-Merxhausener-Graben“.

Die hier betrachtete Region liegt als Festgesteinsgebiet innerhalb des südniedersächsischen Berglandes, wobei die in große Schollen zerlegte Buntsandsteinfolge des Solling-Mittelgebirges das südliche Gebiet sowohl landschaftlich als auch kulturell und politisch bestimmte, einschließlich der zentral gelegenen, großen Grabenstrukturen.

Die als nordöstlicher Ausläufer des „Derental-Merxhausener-Grabens” fast geradlinig in südwestlich-nordöstlicher Richtung verlaufende, landschaftlich eindrucksvolle Grabenstruktur des „Hellentaler Grabens“, auch „Hellentaler Senke“ genannt, ist eine jungtertiäre Gebirgsstörung, eine tektonische Senke im Hochsolling und zugleich auch eine natürliche Grenzscheide im Solling.[1]

Der „Hellentaler Grabenbruch“ wird naturräumlich vom Großen Ahrensberg (525 m), Dasseler Mittelberg (507 m) sowie von der Großen Blöße (528 m) als den höchsten Erhebungen des Hochsollings begrenzt.

Sie bestimmen seit jeher zugleich auch die teilweise unwirtliche Steilheit der oberen Hänge des Hellentals.

 

Grenzstein im nördlichen (unteren) Hellental

Oktober 2021

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Natürliche Territorialgrenze

Grenzverlauf zwischen dem

Noch heute erinnern eine Reihe infrastruktureller Gegebenheiten im Landkreis Holzminden an die ehemals Braunschweiger Zugehörigkeit.[4]

Die vormals bestehende Zugehörigkeit der Dörfer Heinade, Hellental und Merxhausen zum Land Braunschweig war maßgeblich durch die territoriale, natürliche Rand- bzw. Grenzlage im und zum nördlichen Solling gekennzeichnet.

 

Grenzstein mit der Inschrift "KH│HB" im nördlichen (unteren) Hellental

KH = Königreich Hannover

Oktober 2021

© HGV-HHM, Foto: Klaus A.E. Weber

 

So folgten seit Ende des 15. Jahrhunderts dem „Hellentaler Grabenbruch“, die natürlichen Territorialgrenzen zwischen dem Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, Stift Hildesheim und Fürstentum Calenberg, später Kurfürstentum und Königreich Hannover.

Meist längs des Mittelgebirgsbaches „Helle“ in der Talsohle verlief bereits im Mittelalter eine bedeutende Grenze.

Das Leben, Wohnen und Arbeiten der alten Merxhäuser und Hellentaler Familien vollzog sich fast ausschließlich im Naturraum jenes „Hellental-Merxhausener Grabens”, der zugleich auch beispielhaft dafür ist, wie im niedersächsischen mittelgebirgigen Bergland ausgeprägte natürliche, landschaftliche Kammerungen die Linienführung von Grenzverläufen beeinflussten.[1]

Ältere Hellentaler Dorfbewohner bezeichnen noch heute den in der muldenförmigen Talsohle schnell fließenden Helle-Bach als „Die Grenze“.

Die am „Landesgrenzstein“ in Merxhausen beginnende, zunächst winkelig und dann fast geradlinig entlang der Talsohle des Hellentales bzw. der Helle verlaufende alte Landesgrenze ist nicht nur als eine einfache, „übliche“ Grenze zwischen Gebietskörperschaften zu interpretieren.

Vielmehr ist dieser Grenzverlauf von historischer, territorialpolitischer Bedeutung, legt man beispielsweise regionale Gebietsveränderungen in Folge des Wiener Kongresses von 1814/15 oder des Deutschen Krieges von 1866 zu Grunde.

Die hier betrachtete DORF:REGION lag ursprünglich nicht im welfischen Einflussbereich oder Bevölkerungskreis.

Waren von Beginn an die am nördlichen Sollingrand gelegenen Dörfer Heinade und Merxhausen, das Hellental wie das gleichnamige Sollingdorf, braunschweigisch, so gehörten sie bis zum 31. Dezember 2005 zum Zuständigkeitsbereich der Bezirksregierung Hannover.

Auch kirchlich war Merxhausen eine Grenzgemeinde.

Die Dorfbewohner wurden ehemals vom Kaplan im hildesheimischen Dassel betreut und gingen nach Mackensen zur Kirche.

Um 1687 verfügte die Landesregierung, die Gemeinde dem Kirchenspiel Heinade zuzuordnen, so dass dem Pastor in Deensen die kirchliche Versorgung zufiel.[2]

 

"Dei Schinkensmuggel bei Merkshiusen"

Der im Gersbach Verlag (Hannover) zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen Schrift des Freundes plattdeutschen Volkshumors WILHELM HENZE „Eck segge man bloß. Schwänke und Geschichten“ ist die folgende, in plattdeutscher Sprache abgefasste, humorvolle Begebenheit eines geschickten, wahrheitsgemäßen „Schinkenschmuggels“ über die braunschweigisch-preußische Landesgrenze beim „Grenzkrug“ bei Merxhausen zu entnehmen:[3]

"In Merkshiusen, in’n Dickedurchschen, seiten bei Biuren been Ossenwirt in’n Krauge un diskereeren ober die natte Witterunge, ober dei Duirnisse, ob bei Kreeg wol balle tau Enne wöre, und at dei Kujonen von Engelänners den Casement nin doch bennerichtet härren, un ob dat Unnerseebott „Duitschland“ wol weer heile herower keime, un dat Poinkarree un Gree en Klestier mit Glasscherben hebben mößten, un sau güng dat dörenanner.

Da kummt bei Dörphallbuß herringeflitzt; bei is ganz iut der Piuste un röpt: „Kinners, wettet jet all? Juse Fürst het sämtligge Sweene, Speck, Schinken un Mettworst met Beslag beleggen laten; et darf nicks mähr iut’n Lanne, un wer war na iutwärts verkäupen will, mott et duir vertollen.“

Dat gaff niu en grotet Geköne un Upregunge. Dei Smed slug met der Fiust up’n Disch un reip: „Wat gahet den Fürsten iuse Sweene an? – Lat ’ne seck ümme süs wat bekümmern, denn hette genaug tau daune. Aberst eck segge ja, dei groten Herren stäket öhre Näse in alles!“

„Er is man giut, dat eck alles verkofft hebbe,“ greene Kunrad Barnstorff, „eck hebbe for’t Pfundseeben Mark ’ekreegen; da hebbe eck en gladden Gröschen riuteflahn.“

„Tja,“ segget Bullmeier Kläuker, „dei Händlers iut’r Stadt drewet et tau dulle.Sistern was eine iut Hannover bee meck un wolle Eier käupen, - hei bot meck for’t Stück drüttig Pennje.

Eck fraug dhne, woveel datte denn hebben wolle. Och, meine hei, sauveel wee eck härre, un wenn’t diusend Stück wören. – Den hebbe eck aberst von’n Howwe jaget, dat bei dei Schauh verloren het, - denn wenn düsse Keerl drüttig Pennje for’t Stück betahlt, wat möttet denn bei Städters betahlen?“

„Tja!“ reip en anner, „eck weit of nich, wee iuse Fürst datau kümmt; we sind doch of duitsche Patreoten un möttet doch of genaug Stuiern betahlen, - et is man gaut, dat eck of all verkofft hebbe, - wenn we ok en betten knapp anbeeten möttet, dat Geld is aberst inne!“

Da springet dei Schulmester up un seggt: „Was?” Ihr wollt Patrioten sein? Ihr seid ja noch schlimmer als die Engländer! Der Fürst hat ganz recht getan; sonst hätten seine übrigen Landeskinder nichts, und ihr lutschtet Torf. Eure Geldgier kennt ja keine Grenzen! Ihr müßtet unter Vormundschaft gestellt werden! Ihr haltet euch über die Städter auf, aber ihr seid ebenso raffig. Werft sie hinaus, wie es Kläuker mit dem Eierkerl gemacht hat! Unser Fürst hätte die Maßregel schon längst ergreifen müssen, dann wären die Preise nicht so in die Höhe geschroben; aber ihr seid nie zufrieden, und wenn die ernte auch noch so gut ausgefallen ist!“

„Na, Schaulmester,“ seggt Veehändler Kracke, „niu giff deck man taufree’en, füs werste noch häßliger as diu all bist; un denn wird dei Bree ok nich sau heit ’eleppelt, wee’e uppefüllt wird. Un wenn dei Sweene tau billig sind, denn weeret se einfach nich verkofft.“

„So,“ reip dei Schaulmester, „dann esst ihr sie alle selber, daß ihr platzt, und füttert eure Knechte und Mägde fett; so seht ihr grade aus!“

„Dat willt we denn wol inrichten; diu Schaulmester werster ganz gewiß nich fett von. Eck bringe morgen freuh twei Schinken ower dei Grenze, ohne dat eck dei vertolle,“ seggt Kracke.

„Dei wusste nicht vertollen?“ frögget Kläuker. „Wee maakeste denn dat?“

„Wee eck dat anfnage, dat sind ja meene Saken,“ seggt Kracke. Wee künnt jo ’ne Wedde maken!“

“Giut!” reip Kläuker, “up dei Wedde gahe eck in, dat diu bee den Tollkunterlör nich mee dörkümmst, wenn diut’r deck of mee dutzest; dat is en scharpen Faußrmann, dei lett seck nich bestäken.”

“Eck will ’ne ok nich bestäken; eck will dei Wahrheit seggen un kome doch ohne Toll dör.”

Dei Wedde word ’emaket, un en annern Morgen spanne Kracke seene Schimmel vor dei Schäse, lä seene beiden Schinken ünner den Bocksitz, wo hei seck upsette; Kläuker satt as Zuige up den Hinnersitz, un sau keimen sei vor’n Zollhiuse an.

Kracke heilt stille; dei Kunterlör kamm beriut un reip: „Suih, giuden Dag, Kracke; na, heste wat tau vertollen?“

„Jawoll, twei Schinken!“

„Wo hest se denn, un woveel wäget se?“

„Tja, dat weit eck nich, eck sitter uppe,“ greene Kracke.

„Paß mal up!“ rei dei Kunterlör, „diu wutt meck woll foppen? Mak dat diu wegkümmst! Deene beiden Schinken sind free, dei briukeste nich tau vertollen!“

„Dat hebbe eck meck wol ’edacht,“ greene Kracke. „Na, denn up Wedderseihn! – Jüh, Schimmels!“

Hei harre seene Wedde gewunnen."

 

Literatur

CREYDT, DETLEF, HILKO LINNEMANN, KLAUS A.E. WEBER: Die historische Landesgrenze des Kreises Holzminden zum ehemaligen Hochstift Hildesheim. In: Jahrbuch 2007 für den Landkreis Holzminden. Bd. 25. 2007, S. 41-68.

 

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[1] JARCK/SCHILDT 2000.

[2] RAULS 1983, S. 142.

[3] HENZE, o. J., S. 113 ff.

[4] HEINEMANN 1977, S. 271-279.