Jüdisches Leben - damals in Merxhausen

Klaus A.E. Weber │ Rolf Clauditz

 

Jüdisches Kulturerbe ist Teil unseres allgemeinen Kulturerbes

Blickt man auf die Geschichte der Juden und Jüdinnen in Deutschland, so ist festzustellen, dass erstmals zu Beginn des 18. Jahrhunderts jüdische Familien in Stadtoldendorf und im weiteren Umland urkundlich erwähnt werden.

Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wird die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Region maßgeblich vom Wirken jüdischer Familien geprägt.

Doch bereits zu Beginn der NS-Gewaltherrschaft bestimmen politischer Widerstand, Hausdurchsuchungen, Misshandlung politischer Gegner und insbesondere die Verfolgung jüdischer Familien die NS-Regierungszeit in Stadtoldendorf und im Umfeld der Samtgemeinde – betrieben von lokalen SA- und SS-Männern.

Die jüdische Geschichte mit ihrem wichtigen gestaltenden Beitrag zum kulturellen und wirtschaftlichen Leben auch in der hier betrachteten DorfRegion wurde in der Zeit nach 1945 systematisch „vergessen“ und politisch wie gesellschaftlich unreflektiert "verdrängt" - angesichts der allgemein vorherrschenden kollektiven Amnesie.

Mit der Aufarbeitung der Geschehnisse um die Vertreibung und systematisch angelegte Vernichtung von Juden und Jüdinnen während der NS-Zeit im Holocaust und in den davor liegenden Zeiten tat man sich auch in hiesiger DorfRegion mehr als schwer - und man tut es teils auch heute noch mit dem Hinweis "nicht darüber reden zu können".

Oft sind die jüdischen Friedhöfe die einzigen materiell noch fassbaren Zeugnisse des jüdisches Lebens und der jüdischen Kultur.

 

"Sie waren unsere Nachbarn" [1]

Gegenüber dem benachbarten Dorf Mackensen im ehemaligen Hochstift Hildesheim kamen Juden und Jüdinnen vermutlich erst etwa 150 Jahre später in Merxhausen im Herzogtum Braunschweig an.

Diese Entwicklung ist am ehesten damit zu begründene, dass zwischen den beiden Sollingranddörfern eine Landesgrenze verlief, woran noch heute das Gasthaus Grenzkrug (Grenzkrug 1 / 37586 Dassel–Mackensen) erinnert.

Erst als das Königreich Westfalen (1807-1813) in napoleonischer Zeit des Ersten Französischen Kaiserreichs entstand, fiel die Landesgrenze.

Diese politische und territoriale Veränderung wie auch die jüdische Emanzipation“ und die Einführung der Gewerbefreiheit ermöglichten auch eine Verlegung des Wohnsitzes.

Die gewährte Freizügigkeit dürfte die Ansiedlung der jüdischen Familie Rothschild in Merxhausen und die Gründung ihres Unternehmens begünstigt haben.

Auch die unterschiedliche Anlage der benachbarten jüdischen Friedhöfe in Merxhausen (1867-1934) und Mackensen (1835–1900) können als Beleg jener Veränderungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts interpretiert werden.

Im Gegensatz zum Ortsteil Merxhauen sind in den Ortsteilen Heinade und Hellental der Gemeinde Heinade keine Jüdischen Friedhöfe nachweisbar.

Eine eigene Synagogengemeinde bestand hier nicht.

Wie eine Darstellung zur Geschichte der Stadt Dassel notiert, ist 1875 die Synagoge von Dassel (Wohnhaus an der Ecke Sievershäuser/Rellihäuser Straße) eingeweiht worden - mit dem Hinweis: Um die verpflichtende Mindestzahl von zehn religionsmündigen Männern zusammenzubringen, besuchen auch einige Juden aus Mackensen und Merxhausen den Gottesdienst.“[2]

 

© HGV-HHM, Foto: Rolf Clauditz

 

Die jüdische Familie Rothschild betrieb in Merxhausen im Sollingvorland einen Garnhandel.

Etwa 300 Garnspinner und Weber der Region stellten verschiedene Leinenwaren her, welche die Familie Rothschild zunächst nur in Norddeutschland, später deutschlandweit vertrieb.

Dabei beeindruckt die Familie Rothschild nicht nur durch erfolgreiche unternehmerische Tätigkeiten, sondern sie prägt auch das jüdische Leben in der hier betrachteten Region.

In Merxhausen erinnert man sich noch heute an die drei Brüder Julius Rothschild (1853-1921), Salomon Rothschild (1863-1930) und Ephraim Rothschild (1859-1934).

Als 1814 ein Schadensfeuer das Warenlager und Wohnhaus vernichtete, verlegte die Familie ihre geschäftlichen Aktivitäten nach Stadtoldendorf, wo sie ein expandierendes Unternehmen, das Textilien, Eisenwaren und Leinsamen verkaufte, betrieben.

Im Jahre 1869 gründete die Familie die „Mechanische Weberei A. J. Rothschild“, in der zeitweise bis zu 900 regionale Arbeitskräfte beschäftigt waren und die über weltweite Handelsbeziehungen verfügte.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Firma 1838 „arisiert“.

Nur wenige Spuren der Familie Rothschild sind im Dorf Merxhausen heute noch vorhanden.

Lediglich das ehemalige Wohnhaus, die Grundmauern des Kontor- und Lagerhauses sowie einige Sandsteinpfosten mit Initialen sind erhalten.

Das einzige sichtbar verbliebene, öffentlich zugängliche Zeugnis jüdischen Lebens und jüdischer Kultur in Merxhausen ist der abgelegene jüdische Friedhof bei Merxhausen.

Die erhaltene und zugängliche schriftliche Quellenlage ist eher spärlich.

 

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[1] ERNESTI 1996, S. 54-62.

[2] VEREIN 700 JAHRE DASSEL 2015, S. 20.