Krankheiten armer Hellentaler Landleute

Klaus A.E. Weber

 

Mit anderen Sollingdörfern hat Hellental stets seine große Armut, Not und Bitterkeit geteilt.

Das Leben der „Helldahlschen“ Familien war einstmals über drei Jahrhunderte hinweg geprägt von großer Kargheit und materieller Armut, dem tagtäglichen Kampf um die soziale Existenzsicherung und den genügenden Broterwerb für die vielköpfigen Familienmitglieder sowie von immensen Kraftanstrengungen unter einfachsten Bedingungen bei Arbeiten.

Erschwerend kamen zeittypische, vor allem armutsassoziierte Gesundheitsstörungen und Krankheiten hinzu.

In den genealogisch heran gezogenen Kirchenbüchern des 18./19. Jahrhunderts fanden sich alte Krankheitsbezeichnungen, wie beispielsweise "Auszehrung" und "Entkräftung" oder "Brustkrankheit", aber auch Hinweise zu gemeingefährlichen übertragbaren Krankheiten (Infektionskrankheiten), Tumorerkrankungen und schwersten Verletzungen (Unfälle), teils mit Todesfolge.

Krankheiten traten in jener Zeit saisonal gehäuft und epidemisch als „Volkskrankheiten” auf.

Es ist dabei anzunehmen, dass die in den Kirchenbüchern angegebenen „Todesursachen” (Mortalität) zugleich auch näherungsweise das mögliche Erkrankungsspektrum (Morbidität), die „inneren” wie „äußeren” Krankheiten und Unfallverletzungen in den damaligen Hellentaler Arbeiter- und Handwerkerfamilien abbilden.

Hinzu kamen, neben den rein organmedizinischen, gehäuft auch wesentliche psychische Gesundheitsstörungen.

Beispielsweise kam es während eines Zeitraumes von gut 25 Jahren (1867–1893), bei unklarem psycho-sozialen Hintergrund, in mindestens fünf Fällen bei Männern aus Hellental zu einem Suizid (Selbsttötung).

Die Frage, ob die Suizidalität jener Zeit auch Frauen betraf, kann an Hand der vorliegenden genealogischen Untersuchungsergebnisse nicht hinreichend verlässlich beantwortet werden, da in den Kirchenbüchern entsprechende Angaben nicht ersichtlich waren.

Auf das oftmals schwere, auch schicksalhafte Leben von Hellentaler Dorfbewohnern im 19. Jahrhundert soll hier am Beispiel der alten Brinksitzer-Familie Engelbrecht näher eingegangen werden.

Es wird dabei zugleich auch verdeutlicht, welche zeitgeschichtlich interessanten Informationen zum früheren Familienleben sich aus den genealogisch ermittelten Personenstandsdaten ergeben können.

Noch heute trägt der Holzquerbalken der alten Toreinfahrt des Wohnhauses Am Teiche 9 (Ass.-№ 31; heute im Besitz der Familie Gobrecht) die Balkeninschrift

 

"Carl Engelbrecht. u. Louise gbr Meier. den 27sten November 1847"

 

Es handelt sich hierbei um das Wohnhaus des am 15. Februar 1815 in Hellental geborenen Brinksitzers Carl Friedrich Ludwig Daniel Engelbrecht.

Er heiratete 24-jährig im April 1839 in Hellental die 22-jährige Sophie Catharine Luise Meier.

Aus deren Ehe gingen 3 Kinder hervor, wobei das erste Kind 1838 vorehelich geboren wurde (vor der Hochzeit) und das dritte Kind bereits knapp 6 Monaten nach der Entbindung an Auszehrung (Tuberkulose (?)) 1851 verstarb.

Carl Engelbrecht heiratete 36-jährig, nachdem seine Frau Luise im Dezember 1850, nur wenige Wochen nach der Geburt ihres dritten Kindes, an "Kehlschwindsucht" (Kehlkopftuberkulose (?)) im Alter von 33 Jahren verstorben war, in zweiter Ehe im Mai 1851 Johanne Wilhelmine Luise Kuhlmann, 26-jährige Tochter eines Schuhmachers aus Negenborn.

Aus dieser zweiten Ehe von Carl Engelbrecht gingen drei Töchter hervor.

Die erste Tochter verstarb bereits zwei Wochen nach ihrer Geburt 1852 an "Scheuerchen" (Krämpfe/Epilepsie (?)), die dritte Tochter 1872 im Alter von vier Jahren an "Rachenbräune" (Diphtherie).

In Hellental vollzog sich die gesundheitliche Versorgung sehr lange in einem Umfeld von tiefer Religiosität, unerschütterlichem Aberglauben umd Mystizismus, persönlichem Schicksal und glücklicher Fügung.

Von allen liebevoll „Stinewase“ genannt, verfügt Christine Schütte (geb. Grupe, 1850-1923) als volksmedizinische Heilkundige, Palliativpflegerin und Seelsorgerinsie über volksmedizinische Vorstellungen und heilkundliche Kenntnisse, die sie im Wesentlichen von ihrer Mutter in Schorborn erworben hatte.

 

... und der Choleratag

 

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[1] LESSMANN 1984, S. 83-84.