Kökens Heinrichvetter und seine Musikanten

Klaus A.E. Weber

 

Die folgende, von LESSMANN [1] für Hellental aufgezeichnete Geschichte soll so oder so ähnlich auch in benachbarten Ortschaften, wie Silberborn und Sieverhausen, erzählt worden sein:

 

Wie jeu alle wettet, wür’n dei mehrsten Helldölschen Musikanten „Holthauers“.

Musaik maken se blaut Sünnobens oder Sonndags.

Wenn wei niun in Schönhagen, Kamerborn oder in Eschershiusen beu Uslar Musaik mak’n woll’n, heot se ühre swarten Anzüge gleuk im Rucksacke mieneom’.

Mie dein Instrumenten wurd et genausea emaket.

Düsse wur’n in ‘ne aule Joppa wickelt un inner Wulweskiulen unner nen dichten Busche legt.

Düsse Forstplacken hett sea, wal do huite noch Kiulen sind, wu se freuher Wülwe inne fongen heot.

Wer sa mol gern sahn will, kanner ruhig hengohn.

Huite gifft et da höchstens noch blaut en poar wille Sweune.

Wenn niun Feuerabend is, goht se reober na dein Zigeunerbrunnen.

Düsse Brunnen hett sea, weil do vor vielen Johren mol en Zigeunerkind inne verseopen is.

Do waschet sei seg un trecket ühren swarten Anzug an.

Sa föhret von do mi ühren Flitzepees na de Musaikstie.

An nen schönen Sünnobend spielen sei mol wier in Kamerborn.

Dei Soal was niun, wie et freuher sea was up’n Dörpe, eober’n Stalle.

Dein Geruch hätt kaner emerket, wal alle Luie en Stall mi Vahtuig heot.

De Musikanten gingen up de Bühne und packten ühre Instrumente iut.

Düsse Bühne lag niun ober dein Fickelstalle.

Freuher würen dei Ställe nich sea geat isoliert wie dat huite de Fall is.

De Balken lagen anfach sea upper Bruchstanwand.

De Stallfeuchtigkat trecket niun ümmer lustig in de Balken, un se fingen sea suitsche wech an tea fiulen.

As niun de Stimmunge allmächtig annestiegen was, kam wat do twischen, wu kaner mie reiket harre.

Dador, dat dei Balken anner Miurkante scheon ganz fiul würen, sacke dei Bühne langsam aber sicher na un’n.

Dei Musikanten marken dat ja seafort, aber wat soll’n se maken?

Weglaupen un de Stimmunge verdarb’n?

Do kennet jeu aber dei Helldölschen schlechte.

Sei setten ühre beste Miene up un spielen lustig weier.

Wal niun dei Stall blaut twa Meiter dap was, ging et mi de Fahrt rasche tea Enne.

Dei Fickel harr’n en Lock efunnen, wu se dorrkriupen kon’n.

Queukend lapen se twischen dei Musikaten ümmer.

Do en Holthauer niun mol kane Angest vor’n lüttjen Fickel hätt, blien se steube sitten un spielen blaut noch liuter.

Et is ja ne aule Datsache, dat auk Diere gern Musaik häret.

Darümme beruhig’n seck dei Fickels rasche.

Se kuschelten seck inne Ecke un fingen an tea snork’n.

Dein Musaikern wurd nun an Sluck na’n andern runder erecket, domie se da un’n koane kaulen Feute kreugen dieen.

Do de Helldölschen noch nie Kostverächter wür’n, lüschen se ne düchtig wech.

Dat brochte niun dei Musikanten ümmer mehr in Swung.

Dei Stimmunge klotere tealest sea hauch, dat dei Kreuger Angest harre, dat dei ganze Soal iut’nanner breiken könne.

Aber alles hät mol en Enne.

Auk düssen ungewöhnlichen Danzevergneugen ging et nich anners.

Alle wür’n se seck daroiber anig - dütt was dei beste Ball, dei jemals in Kamerborn stattefun’n hätt!

Damie was düsse dulle Nacht for dei Musaiker aber noch nich tea Enne. Et soll noch viel verrücketer kumen.

- Aber an naen andern!

Up’n Rüggewige föern dei Helldölschen Musikanten gleuk dein Richteweg eowert Holt.

Dei Snaa, dei up dein holperigen Weige lag, was von dein Holtfuhrwarken glatt eföhrt.

Dei Musikanten mossten up ühren Flitzepees höllisch uppassen.

Et gaff damals noch kane Dynamos an dein Fahrreiern, wie dat huite sea üblich is.

Damals satt blaut sea ‘ne lüttje Karbidlatüchte vorn an dei Lenkstangen.

Damie konn man aber blaut twa bet dra Meiter weut keiken.

Karl Seeger uit Mackensen föhre vorweg.

- Mackensen is en ganz aulet Dörp iuter Noberschaft, von wu dei Vorfahr’n von dein aulen Generalfeldmarschall „von Mackensen“ herstammen deat.

- Ha harre niun dein grauten Bass up’n Puckelle.

In’n Volksmunne hett dat Ding „Dei aule Grossmuttern“.

Kort vor Hellendole kümmt niun en Doerweg.

Karl Seeger sach ne ierst in’n lesten Augenblicke un mosste up’ n Rücktritt, ob ha wolle oder nich.

„Na sea wat“, dachte ha noch, un klabumm, klabautz, lag ha mie seuner „Grossmuttern“ in’n Groaben.

Harich Küke, dei hinder ühne herkamm, sach dat niun, un dei Schreck föhre ne gleuk in’n Leube dohl.

Ha reap sea luit ha konne:

„Na, Korl, jetz is woll dei Bass in’n Moase?“

Karl antwure:

„Nä, Harichvedder, - dei Oas is in’n Basse!“

Nää - wat et doch nich alles gifft!"

 

Hochdeutsche Version

Wie Sie alle wissen, waren die meisten Hellentaler „Waldarbeiter“.

Musik machten sie bloß samstags und sonntags.

Wenn sie nun in Schönhagen, Kamerborn oder in Eschershausen bei Uslar Musik machen wollten, haben sie ihre schwarzen Anzüge gleich im Rucksack mitgenommen.

Mit den Musikinstrumenten wurde es genau so gemacht.

Diese wurden in eine alte Jacke gewickelt und in der Wolfskuhle unter einen dicken Busch gelegt.

Dieser Forstplatz heißt so, weil da heute noch Kuhlen (Anm.: Gruben) sind, in denen früher Wölfe gefangen wurden.

Wer sie gern mal sehen will, kann ruhig hingehen.

Heute gibt es da höchstens noch ein paar Wildschweine.

Wenn nun Feierabend war, gingen die Musikanten hinüber zu dem Zigeunerbrunnen.

Dieser Brunnen heißt so, weil da vor vielen Jahren ein Zigeunerkind ertrunken war.

Da wuschen sie sich und zogen ihre schwarzen Anzüge an.

Sie fuhren von da an mit ihren Fahrrädern zu dem Ort, wo sie musizieren sollten.

An einem schönen Samstag spielten sie mal wieder in Kamerborn.

Wie früher auf dem Dorf üblich, lag der Saal über einem Schweinestall.

Den Geruch merkte keiner, weil alle Leute einen Viehstall hatten.

Die Musikanten gingen auf die Bühne und packten ihre Instrumente aus.

Die Bühne lag über einem Ferkel-Stall.

Früher waren die Ställe noch nicht so gut isoliert, wie es heute der Fall ist.

Die Balken lagen einfach so auf der Bruchsteinwand.

Die Stallfeuchtigkeit zog immer lustig in die Balken, und die fingen langsam an zu faulen.

Als nun die Stimmung allmählich angestiegen war, kam etwas dazwischen, womit keiner gerechnet hat.

Da die Balken an der Mauerkante schon ganz faul waren, sackte die Musikantenbühne langsam, aber sicher, nach unten.

Die Musikanten merkten das sofort, aber was sollten sie machen?

Weglaufen und die Stimmung verderben?

Da kennen sie aber die Hellentaler schlecht.

Sie setzten ihre beste Miene auf und spielten weiter.

Da nun der Stall bloß zwei Meter tief war, ging es mit der Fahrt schnell zu Ende.

Die Ferkel hatten ein Loch gefunden, wo sie durchkriechen konnten.

Quiekend liefen sie zwischen den Musikanten umher.

Die Waldarbeiter hatten nun mal keine Angst vor kleinen Ferkeln, blieben steif sitzen und spielten bloß noch lauter.

Es ist ja eine Tatsache, dass auch Tiere gern Musik hören.

Darum beruhigten sich die Ferkel rasch.

Sie kuschelten sich in eine Ecke und fingen an zu schnarchen.

Den Musikanten wurde nun ein Schnaps nach dem anderen heruntergereicht, damit sie da unten keine kalten Füße kriegen sollten.

Da die Hellentaler noch nie Kostverächter waren, tranken sie ihn tüchtig weg.

Das brachte nun die 3 Musikanten immer mehr in Schwung.

Die Stimmung kletterte so hoch, dass der Gastwirt Angst hatte, dass der ganze Saal auseinander brechen könnte.

Aber alles hat einmal ein Ende.

Auch diesem ungewöhnlichen Tanzvergnügen ging es nicht anders.

Alle waren sich darüber einig, dass dies der beste Ball war, der jemals in Kamerborn stattgefunden hatte.

Damit war aber diese tolle Nacht für die Musikanten noch nicht zu Ende.

Es sollte noch verrückter kommen.

Aber eines nach dem anderen.

Auf dem Rückweg fuhren die Hellentaler Musikanten durch den Wald.

Der Schnee, der auf dem holprigen Weg lag, war von den Holzfuhrwerken glatt gefahren.

Die Musikanten mussten auf ihren Fahrrädern höllisch aufpassen.

Es gab damals noch keine Dynamos an den Rädern, wie das heute so üblich ist.

Damals gab es bloß eine kleine Karbidlampe vorn an der Lenkstange.

Da konnte man nur drei Meter weit gucken.

Karl Seeger aus Mackensen fuhr vorweg

- Mackensen ist ein altes Dorf in der Nachbarschaft, von wo die Vorfahren des alten Generalfeldmarschall „von Mackensen“ herstammen.

Er hatte nun den großen Bass auf dem Rücken.

Im Volksmund heißt das Ding auch „die olle Großmutter“.

Kurz vor Hellental (es ging ja immer bergab) kam nun ein Torweg (Anm.: Tor vom ehemaligen Wildgatter).

Karl Seeger sah ihn erst im letzten Augenblick und musste auf den Rücktritt treten, ob er wollte oder nicht.

„Na so was“ dachte er noch und „klabumm, klabautz“, lag er mit seiner „Großmutter“ im Graben.

Heinrich Köke, der hinter ihm herkam, sah das nun und der Schreck fuhr ihm in en Bauch hinunter.

Er rief so laut er konnte:

„Na, Karl, jetzt ist der Bass wohl im Arsch?“

Karl antwortete.

„Nein, Heinrichvetter, der Arsch ist im Bass.“

Na - was es doch nicht alles gibt.

 

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[1] LESSMANN 1984, S. 97-100.