Lager- und Kontorhaus Rothschild

Klaus A.E. Weber │ Rolf Clauditz

 

„Lager- und Kontorhaus Rothschild“ │ um 1950

Fachwerkhaus vor seinem Abriss im Jahr 1974

© Foto (Ausschnitt): Privatsammlung Rolf Clauditz

 

Sandsteinpfosten und Holzlattenzaun markieren den Eingangsbereich

des Lager- und Geschäftshauses │ undatiert

© HGV-HHM, Arciv

 

Nach HENZE/LILGE [2] habe die Familie Rothschild in Merxhausen ehemals verfügt über ein

  • großes, um 1900 errichtetes dreistöckiges Gebäude

  • größeren Teils Lagerhaus

  • Verkaufscomptoir (Kontor) im Erdgeschoss.

Das für einen Ort wie Merxhausen große Gebäude wäre in der sogenannten ‘Reichskristallnacht‘ geplündert und demoliert worden“, wobei „Türen, Fenster und Teile des Fußbodens“ herausgerissen worden seien; Angehörige der Familie Rothschild wohnten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Merxhausen.[2]

Mit dem Ausdruck „Reichskristallnacht“ wird offensichtlich auf das Novemberpogrom vom 09. auf den 10. November 1938 verwiesen, eine Gewaltmaßnahme gegen Juden im Deutschen Reich, die vom NS-Regime organisierte und gelenkt worden war.

Mangels politischer Selbstreflexion und historischem Verantwortungsbewußtsein wurde das Gebäude auf Veranlassung der Gemeinde Merxhausen im Jahr 1974 abgerissen.

Heute erinnern nur noch wenige bauliche Reste in der Grünfläche an das beseitigte historische jüdische Geschäfts- und Lagerhaus.

 

Relikte des 1974 von der Gemeinde beseitigten Lager- und Kontorhauses

S.I.R = Samson Ioseph (Josef) Rothschild (1785-1867)

Mai 2020

© HGV-HHM, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

Abriss des historischen „Lager- und Kontorhauses Rothschild“

Wegen der später eingetretenen Baufälligkeit des früheren Geschäftshauses (Lager- und Kontorhauses) der Familie Rothschild - in offiziellen Schreiben auch als „Judenhaus“ bezeichnet - kam es in den Jahren zwischen 1971–1974 zu einem recht umfänglichen Schriftverkehr und zu einem sich allmählich zuspitzenden Verwaltungsstreit.

Hierzu ist anzumerken, dass das Kontor- und Lagerhaus fälschlicherweise oft als „Judenhaus“ bezeichnet wird.

Das „Judenhaus“ jedoch wurde nie abgebrochen, sondern von Manfred Kämpf, Schlossermeister in Oberhausen, am 21. März 1973 gekauft.

Verkäufer waren die Erbengemeinschaft nach Julius Rothschild Liesel Geismar geb. Heineberg, London / Walter Heineberg, Kibbuz bei Tel-Aviv / Dr. Julius Weinberg, Forest Hills N.Y.

Der Eintrag in das Grundbuch erfolgte sm 12. Februar 1975.

Aus Niederschriften des Gemeinderates der Gemeinde Heinade ergeben sich zum "Abriss des so genannten Lager- und Kontorhauses Rothschild Merxhausen" die folgenden Hinweise.

 

Lager- und Kontorhaus = "Judenhaus"

Aus den Ratssitzungen

 

14. Mai 1973

Zum Tagesordnungspunkt 1 - Ankauf des ehemaligen Judenhauses in Merxhausen:

Vom Ratsvorsitzenden wird die Sachlage eingehend erläutert.

Über den Ankauf des so genannten Judenhauses entwickelt sich eine lebhafte Aussprache, mit dem Ergebnis, dass es sich hier um eine einmalige Kaufangelegenheit handele und dass dieses Grundstück im Sinne des zukünftigen Fremdenverkehrs im Ortsteil Merxhausen unbedingt aufgekauft werden müsse.

Beschluss des Rates bei 8 Ja-Stimmen, 1 Gegenstimme und 1 Stimmenthaltung:

Das so genannte Lagerhaus der Juden wird mit der angrenzenden Wiese zum Zwecke der Errichtung einer Freizeitanlage gekauft.

Der Kaufpreis beträgt rund 16.000 DM und ist aus Mitteln des ordentlichen Haushaltes zu bezahlen.

 

Nr. 18 vom 23. Februar 1974 in Merxhausen

Tagesordnungspunkt Vergabe der Abbrucharbeiten in Merxhausen

Angebot: Fa. Ebeling über 7.500 DM │ Fa. Gröne (Stadtoldendorf ) über 8.500 DM │ Fa. Timmermann ( Negenborn) 6.200 DM

Der Rat beschließt einstimmig – Voraussetzung ist, dass die Fa. Timmermann die Ausschreibungsbedingungen anerkennt – dieser Firma die Abbrucharbeiten zu übertragen.

 

Nr. 21 vom 09. Mai 1974

Bei Abbrucharbeiten des „Judenhauses“ ist im Ortsteil Merxhausen durch schwere Baufahrzeuge eine Brücke eingestürzt.

Eine Ausbesserung erscheint nicht mehr möglich.

 

Nr. 22 vom 04. Juni 1974

Der Ratsvorsitzende berichtet über bisher geführte Gespräche, die die Wiederherstellung der eingestürzten Brücke betreffen und legt einen Kostenvoranschlag der F. Timmermann, Negenborn, vor.

 

Nr. 61 vom 11. Mai 1976

Die Fa Förstermann verpflichtet sich laut vorliegendem Kostenvoranschlag über 7.600 DM einschließlich Mehrwertsteuer die Grünanlage am „Judenhaus“ nach Plan herzustellen.

Am 05. August 1974 teilte schließlich die Gemeinde Heinade abschließend dem Landkreis Holzminden (Bauaufsicht) schriftlich mit, dass das Gebäude von ihr angekauft und inzwischen durch einen Unternehmer abgebrochen worden sei; der Platz sei einplaniert und somit die Gefahrenstelle beseitigt.

 

Spuren einer "Vergangenheitsbewältigung" in Merxhausen

Mai 2020

© HGV-HHM, Fotos: Klaus A.E. Weber

 

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[1] Hinweise aus den Ratsprotokollen der Gemeinde Heinade von Heini Brodhage zu dem Abriss des Lagerhauses der Fa. Rothschild.

[2] HENZE/LILGE 1989, S. 146.