Lukrativer nächtlicher Schleichhandel

Klaus A.E. Weber

 

Im Schutze von Nacht und Nebel über „Die Grenze“

„Grenzgänger” im braunschweigisch-hannoversch/preußischen Grenzraum

 

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Die Errichtung vieler Kleinstaaten mit unzähligen, den Handel blockierenden Zollhaupt- und Zollnebenstationen nach dem Wiener Kongress 1814-1815 und später die ökonomischen Folgen des Zusammenbruchs der napoleonischen Herrschaft einerseits, andererseits die Last grundherrlicher Abgaben und Hand- und Spanndienste leiteten auch im Sollingraum eine zunehmende Verarmung und Verelendung der dort ohnehin sozial benachteiligten Dorfbevölkerung ein.[8]

Als Reaktion hierauf entwickelte sich verbreitet an den Ämter-, Landes- und Zollgrenzen im Solling eine zwar rechtswidrige, hingegen aber existentiell wichtige Einnahmequelle für arme Dorfbewohner: die „Grenzgängerei“ bzw. der „Schleichhandel“, so auch im braunschweigisch-hannoverschen Grenzraum im Hellental.

Insbesondere soll damals der Schmuggel von

  • Zucker

  • Salz

  • Tabak

im Grenzgebiet des Hochsollings recht lukrativ gewesen sein.

Noch heute ist gerade der Zuckerschmuggel im Zusammenhang mit dem Hellentaler Grenzdorf wohl bekannt, so auch die alte „Zuckereiche” am Vogelherd und die „Zuckereichenschneise” zwischen Holzminden und Hellental.

Der hohle Stamm der großen „Zuckereiche“ soll seiner Zeit als Umschlagsplatz für allerlei Schmuggelware gedient haben, u.a. auch für die den Namen gebenden Zuckersäcke der aus dem Westfälischen kommenden Schmuggler.

Von einer alteingesessenen Hellentaler Familie, die eine „Zigarrenfabrikation“ besaß und zugleich auch mit Zucker handelte, wird berichtet, sie sei deshalb zu einem ansehnlichen Privatvermögen gekommen, da sie „preiswerte Ware“ von Schmugglern bezogen habe, die jene nachts aus der besagten „Zuckereiche“ heranholten.

Mehrere dörfliche Erzählungen kreisen auch um die besonders exponierte braunschweigisch-hannoversche/preußische Grenzlage des alten „Grenzkrugs“ zwischen Merxhausen (heute Landkreis Holzminden) und Mackensen (heute Landkreis Northeim).

 

Tabak- und Zuckerschmuggel im Grenzdorf „Höllenthal“

Über viele Jahrzehnte hinweg hatten die Hellentaler Männer in ihrer Nachbarschaft ein auch noch heute Augen zwinkernd anzutreffendes Image als besonders ausgeprägte

  • „Sauf- und Raufbolde”
  • „Schmuggler”
  • „Wilddiebe”.

Die Hellentaler Dorfbewohner jener Zeit waren wegen ihres „Hanges zu Raufereien” und gelegentlicher Wilddiebsgeschichten bekannt und gefürchtet.

Zudem seien Hellentaler Familien dann von einer besonderen Schlitzohrigkeit gewesen, wenn es um ihre eigene Vorteilnahme ging, gleich welcher Art und in welchem Umfang.[9]

Wie noch heute in Hellental vielfach erzählt wird, soll es in den schlechten Zeiten des 19./20. Jahrhunderts auch vorgekommen sein, dass manch einer dem anderen buchstäblich nicht den Grashalm für das wenige weidende Vieh gönnte, andere gruben dem Nachbarn auf den wasser- und nährstoffarmen Hangwiesen im Tal regelrecht das Wasser ab.

In jenen ökonomisch wie sozial schwierigen Jahren – mit Hunger, Massenarmut bei zunehmendem Bevölkerungswachstum – gab es typischerweise eine Vielzahl von geradezu schlitzohrigen Einzelstrategien, die, ob ihrer bitteren materiellen Armut und existentiellen Not, auch bei einigen Hellentaler Familien entwickelt wurden.

Zugleich kam es ab und an auch zu „gewissen Unregelmäßigkeiten” jenseits der damals geltenden Rechtsordnung.

 

„Zuckereiche” und „Zuckereichenschneise”

Historisch nicht sicher belegt, soll dabei - wie es die nur mündlich überlieferten Bezeichnungen besagen - die „Zuckereiche” am Vogelherd in Verbindung mit der „Zuckereichenschneise” eine besondere strategische Bedeutung für den Zuckerschmuggel und andere Schmuggelware auf herzoglich-braunschweigischem Grund gehabt haben.

Die forstamtlich unerwähnte, inoffiziell als „Zuckereichenschneise” bezeichnete Schneise im Hochsolling, soll in der Nähe von Schießhaus in Richtung Mühlenberg gelegen haben, dort, wo sich Anlaufwege kreuzten.

In jener „Zuckereichenschneise“ habe ehemals eine betagte Eiche gestanden, „die als markante Besonderheit einen geräumigen, hohlen Stamm hatte".[10]

Der regensichere hohle Stamm der dicken „Zuckereiche“ könnte in alten Zeiten einem „Pascher“ oder gar Schmugglerkolonnen als illegaler, aber ungestörter Umschlagsplatz für den nächtlichen Schmuggel von Zuckersäcken, möglicherweise auch für allerlei sonstige Schmuggelware (Tabak, Leinwand) gedient haben.

Dabei könnten möglicherweise Schmugglerkolonnen aus dem hannoverschen, später preußischen Gebiet Zucker und rohen Tabak „zollfrei“ eingeführt und als Rückfracht Salz mitgenommen haben.“[11]

Nach mündlicher Familienüberlieferung sollen Vorfahren der alteingesessenen Hellentaler Familie Timmermann durch Zucker- und Tabaksschmuggel ein ansehnliches finanzielles Privatvermögen erzielt haben.

Neben einer "Tabacks- und Cigarren-Fabrikation", in der sie mehrere Zigarrendreher beschäftigte, besaß die Familie auch einen dörflichen Zucker-Handel.

Die Familie Timmermann habe ab und an preisgünstig Schmugglerware (Zucker, Tabak) erhalten, welche im Schutze der Nacht aus der hohlen „Zuckereiche“ geholt worden war.

Aus dem Westfälischen kommend, sollen Schmuggler bei geeigneten nächtlichen Verhältnissen ihre schweren Zuckersäcke in der besagten alten „Zuckereiche“ am Vogelherd deponiert haben.

Ins benachbarte "Hannoversche" könnte dann die Familie Timmermann ihre Ware über den nahen „Grenzkrug“ zwischen Merxhausen und Mackense veräußert haben.[12]

Nachweislich waren Georg Heinrich Konrad Timmermann als „Tabakfabrikant“ im Hellentaler Tabakwesen tätig gewesen, ebenso auch der Gastwirt Georg Friedrich Daniel Theodor Timmermann und Karl Friedrich Ludwig Schütte.[13]

 

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[8] JARCK/SCHILDT 2000; HAHNE 1972.

[9] CREYDT 1985.

[10] Sollte es diese „uralte“ Eiche im Solling je gegeben haben, so könnte es sich am ehesten um eine typische Hutewald-Eiche gehandelt haben.

[11] CREYDT 1985; BLIESCHIES 1978, S. 73-74.

[12] CREYDT 1985.

[13] NÄGELER/WEBER 2005, S. 336-337.