Neuer Anbau auf dem Lande
Klaus A.E. Weber
Eine wirtschafts- und siedlungspolitische Maßnahme von Herzog Carl I.
Um den Entstehungs- und Besiedlungsprozess des Dorfes Hellental in seinem historischen Kontext zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachvollziehen zu können, bedarf es zunächst einer kursorischen Betrachtung der damaligen aufgeklärten, merkantilistischen Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik (Wirtschaftsförderung nach heutigen Maßstäben) am Hofe des Herzogs Carl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel, zu Beginn seiner absolutistischen Regierungszeit (reg. 1735–1780).
Herzog Carl I. ermunterte bereits 1747 in einem Gnadenbrief protestantisch-reformierte Familien, sich in Braunschweig anzusiedeln.
Die ersten Familien aus der Pfalz trafen im Herzogtum Braunschweig um 1749/1750 ein.
Nach der Verordnung zum Neuen Anbau auf dem Lande vom 19. März 1753 sollten „Anbauerzusiedler“ für das Braunschweiger Land als Hilfskräfte für die Landwirtschaft und das Leinengewerbe zur „Beförderung des commerce“ angeworben werden.
Offenbar hatte sich in der Zeit vor 1753 ein Anbaubedürfnis im Herzogtum aufgestaut, dem Herzog Carl I. mit seiner wegweisenden Verordnung begegnete.
Der landesherrlichen Verordnung ist zu entnehmen, dass zunächst eine Vielzahl großzügiger staatlicher Maßnahmen vorgesehen war.
Der aufgeklärte Herzog Carl I. hatte erkannt, „daß sich in vielen Ämtern bisher wenig oder gar keine neuen Anbauer besetzet hätten und daß diejenigen, welche Lust bezeiget, auf vorhin unbebaute Plätze anzubauen, durch den Widerspruch der Gemeinen, durch Besichtigungs- und andere Kosten, oder durch andere Beschwerlichkeiten abgeschreckt und genötigt worden, in anderen Landen Gelegenheit zum Anbau zu suchen.“
Der Herzog sei „diesem allem zuzusehen nicht länger gemeinet, damit nicht künftig Uns die Landfolge und Unseren Untertanen die Bequemlichkeit, Gesinde und Handarbeiter zu haben, entzogen“ werde.
Seinen Amtmännern befahl Herzog Carl I. daher, „bei jedem Dorfe des ihnen anvertrauten Amtes nach Proportionen der Größe des Dorfes, auch seiner Hude und Weide, 2, 3 bis 4 konvenable Stellen für neue Anbauer ausfindig zu machen, welche Stellen mit den übrigen Häusern des Dorfes in ziemlicher Ordnung liegen und so groß sein sollten, daß der Anbauer einen kleinen Garten am Hause haben könne“.
Als weitergehenden Anreiz zum neuen Anbau verfügte Herzog Carl I. sogar, dass den sich hierfür Meldenden möglichst der von ihnen bevorzugte Platz zugewiesen werden sollte und ihnen dabei „angedeutet werden solle, daß sie zeitlebens von allen oneribus publicis (Anm.: öffentliche Lasten/Steuern) frei sein und sich auch einiger Bau-Douceurs, wo Unsere Forsten in der Nähe liegen, am Eichenholze, sonst aber an barem Gelde, welches auf 20 Reichstaler bestimmt wurde, zu erfreuen haben“ sollten.[1]
Neuen Anbauern sollte zudem ½ - 1 Morgen Wiese aus der staatlichen Forst zugewiesen werden.
Hauptziele der allgemeinen wirtschafts- und bevölkerungspolitischen Reglementierungen des absolutistischen Braunschweiger-Wolfenbütteler Hofes waren auf die „Landfolge“ im Herzogtum und auf das Gewerbe, insbesondere auf das Leinengewerbe ausgerichtet, wofür auch auswärtige Handwerker („Handarbeiter“) herangeführt sollten.
Die von staatlicher Seite so in Aussicht gestellte „freie Entfaltung der Anbauerzusiedlung“ wurde im Einzelfall allerdings immer wieder mit dem Widerstand örtlicher Kommunen konfrontiert, denkbar auch bei der Dorfentstehung von Hellental durch die Schaffung von Neuanbauerstellen zum „Nachteile“ der Merxhäuser Forst.
Nach TACKE [2] sei der den Anbauern mit der herzoglichen Verordnung zum Neuen Anbau auf dem Lande vom März 1753 zugesicherte kleine Grundbesitz an Gartenland überall ordentlich angewiesen worden.
War es aber nicht möglich, unmittelbar am Wohnhaus Gartenland auszuweisen, so wurde dieses häufig in Dorfnähe aus der Forst gerodet; ein Vorgang, der auch auf das Dorf Hellental übertragen werden kann.
Oberjägermeister v. Langen hatte Herzog Carl I. im Mai 1754 vorgeschlagen, zusätzlich zu den aus der Glashüttenzeit in Hellental [15] verbliebenen Köhlern, Holzhauern und Glasmachern neue Anbauer, d. h. mit definiertem Hof- und Gartenland ausgestattete Arbeiter und Handwerker, als Neusiedler auf Forstgrund anzuwerben.
Die Neusiedler sollten dann u. a. die alten, eingefallenen Wohnhütten wieder aufbauen.
Herzog Carl I. stimmte dem zu und v. Langen wurden, auf seine Veranlassung hin, Hausstellen, Gärten und Wiesen zugewiesen, um am ehemaligen Hellentaler Glashüttenstandort neue Anbauerstellen schaffen zu können.
Interessanterweise brach die staatlich geförderte, anfangs auch erfolgreiche „Anbauerzusiedlung“ - wie in Hellental - gegen Ende der 1760er Jahre fast unvermittelt ab.
Als ein wesentlicher Grund hierfür gelten die „schwierigen Finanzverhältnisse, in die das Land Braunschweig mit fortschreitender Regierungszeit Herzogs Karl I. geriet“.
Bereits mit seiner Verordnung vom 24. Januar 1755 verfügte Herzog Carl I., dass die vormals gewährten Freijahre von Lebenszeit nunmehr auf 14 bzw. 22 Jahre zu vermindern und darüber hinaus die Anbauer anzuweisen seien, die „Praestanda“ der Brinksitzer zu entrichten.
Zudem wurde die zuvor großzügige Gewährung von freiem Bauholz völlig aufgehoben und zudem staatlich verboten.[2]
Planmäßige Anlage eines gewerblichen Dorfes um 1754/56
- quellnah am steilen Berg
TACKE [3] schrieb in seinem Beitrag zur Entwicklung der Landschaft im Solling: „Sehr schön zeigen einige Grundsätze der v. Langenschen Siedlungs- und Bevölkerungspolitik die Anfänge des Dorfes Hellental.“
Es kann davon ausgegangen werden, dass im Zeitraum von 1753-1756 die ersten staatlichen Vorarbeiten und Entscheidungen zur planmäßige Anlage eines gewerblichen Dorfes in Hellental getroffen wurden.[4]
Es sollte ein neues, gewerbliches Dorf eingerichtet werden, nachdem die von der ehemaligen Glashüttenbelegschaft zurückgelassenen Hütten zu verfallen begannen.
Das damalige landesherrliche Wirtschaftsförderungsprogramm sah vor, auch am alten Glashüttenstandort „im Hellental am Steinbeck“ gezielt Anbauer als Zusiedler sesshaft zumachen.
So erhielten nach „dem Eingehen der Gundelachschen Glashütte“ die „alten und aus anderen Ländern nach dem Hellenthale zugezogenen Köhler, Holzhauer, Glasmacher und Leineweber die gnädigste Freiheit, daselbst zu wohnen und die alten eingefallenen Hütten neu anzubauen, zu reparieren und zu erhalten“.[5]
Um eine staatliche Anbauerlaubnis im Hellental zu erhalten, richteten bald darauf mehrere Einwohner benachbarter Dörfer ihre Gesuche an den braunschweigischen Oberjägermeister v. Langen.
Wegen des Anbaus zu Hellenthale entspann sich in den Jahren zwischen 1754-1756 eine relativ rege behördliche Korrespondenz zwischen dem herzoglichen Commissarius Laurentius (Lorenz) und dem Braunschweiger Hof von Herzog Carl I., im Weserdistrikt vertreten durch seinen Oberjägermeister Johann Georg v. Langen.
In einem die Bauvergünstigung begründenden Bericht vom Juli 1753 schrieb v. Langen über die alte Siedlung im Hellental:
„Wann dieser Ort gantz neu bebauet, sich auch die Bewohner einiger Maßen erholet, wird ein jeder sowohl das Schutz- als Weide-Geld bezahlen, seine Pflicht und Schuldigkeit seyn laßen“.[6]
Mit seinem Schreiben vom 08. April 1754 soll der invalide Hellentaler Holzhauer Johann Heinrich Warnecke um ein Gnadengehalt sowie um einen Vorschuss zum Hausbau gebeten haben).
Herzog Carl I. beauftragte daraufhin v. Langen mit der Erledigung dieses Gesuches.
Zudem ist namentlich bekannt, dass der Schuster und Häusling Christof Meier aus Merxhausen ein Gesuch an v. Langen richtete.[3]
Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um den im Oktober 1699 in Merxhausen geborenen Christoph Friedrich Meier.
Am 25. Mai 1754 schrieb daraufhin v. Langen an Herzog Carl I.:
„Ob nun Ew. Herzogl. Durchl. besagten Ort durch mehrere neue Anbauer erweitern und größer wollen anlegen lassen, dependiert lediglich von Ihro Höchstem Willen und Gutbefinden.
Daß es einen anderen und besonderen Nutzen für das Land haben solle, als daß unter Zeiten ein guter junger Soldat daselbst geboren werde, die Consumtion in etwas augumentiert und sich ein Hundert und mehr Menschen kümmerlich daselbst ernähren und durchbringen können, lässet sich im voraus nicht wohl determinieren.
Doch wird es allemal den Nutzen haben, daß die Bewohner etwas mehr aufbringen, als solche den Forsten und anderen Einrichtungen schaden.“
Herzog Carl I. besonders gut gefallen zu haben scheint die Anmerkung seines Oberjägermeisters, dass „unter Zeiten daselbst ein guter junger Soldat könne geboren werden“, denn Carl I. schrieb an den Rand des Schriftstückes: „Es möge geschehen“.[5]
Des Weiteren forderte Herzog Carl I. von seinem Kommissar Laurentius umgehend einen Riß, den „ferneren Anbau von Hellental betr.“ ein.
Im Zeitraum von Ende 1755 bis Anfang 1756 wurden die geforderte Beschreibung und der Riß von Hellenthal zur (steuerlichen) Aufnahme des künftigen Dorfes erstellt.[14]
Am 17. Februar 1756 erging dann den Anbau zu Hellental betreffend an den Oberjägermeister v. Langen die herzogliche Verfügung, „auch jedem im Hellental sich neu Anbauenden ½ bis 1 Morgen Wiesen aus der Forst anzuweisen“.
Eine Fläche von 6 Morgen und 90 Ruten (= 151.971 m²) wurde als Dorfraum „nach Westen hin um die Quelle“ bestimmt, wo „13 Häuser bequem stehen könnten“.[8]
Für den Aufbau des neuen Sollingsdorfes stellte Herzog Carl I. jeweils freies Bauholz aus dem staatlichen Merxhäuser Forstrevier zur Verfügung, zudem auch einen Platz für ein Wohnhaus mit Wiesen- und Gartenland, wobei ein Anbau in Nordost und Südwest oberhalb der vorhandenen Häuser und Gärten in Betracht gezogen wurde.
Der Anbau wurde darüber hinaus durch Zuschüsse und Steuererleichterungen staatlich begünstigt.
Von der staatlichen Forst - zu großem Nachtheil der Forst (von Merxhausen) – wurde ein ½ - 1 Morgen zur Wiese ausgewiesen; insgesamt waren dafür in Hellental etwa 18 – 27 Morgen zu bestimmen.
Dies betraf Bestandsflächen des alten Merxhäuser Forstreviers, dass nach FÖRSTER [9] alle östlich und nördlich der Linie Hellental – Hundebruch – Hasselbach – Frauengrund - Rote Wasser liegenden Flächen bereits seit 1668 umfasste.
Für die Gemarkung und Dorfanlage von Hellenthal waren demnach zum einen kleine Flächen für die Wohngebäude und für die dazugehörigen gebäude- wie ortsnahen Wiesen und Gärten aus der Forst Merxhausen herausgenommen worden, zum anderen auch Flächenstreifen im landwirtschaftlich nur erschwert nutzbaren Gelände des südwestlich gelegenen „Hülsebruchs“, einige Kilometer fernab des Dorfes.
Dem oben genannten Schreiben vom 17. Februar 1756 ist auch zu entnehmen, dass die „Neubauer” nach Ablauf ihrer Freijahre Contribution (landesherrliche Steuer) zu entrichten hatten und katastermäßig als zugehörig zu erfassen waren.
Von dem am 25. Juli 1756 in Hellenthal geborenen Johann Friedrich David Schütte ist bekannt, dass er als „Schürer“ tätig war, wahrscheinlich auf der Schorborner Glasmanufaktur.
Ein großer Teil der ehemaligen Glasmacher der Steinbeker Glashütte wechselten nach Schorborn, während ein kleinerer Teil der Hüttenbelegschaft in der alten Werkssiedlung verblieb.
Johann Friedrich David Schütte war um 1814 als „Gemengemacher“ in der Mühlenberger Glashütte tätig und in seinem letzten Lebensjahr 1827 dort „Glasermacher“, wo er am 25. Juli verstarb.
Im Juni 1776 hatte er in Hellental Johanne Louise Catharine Meyer geheiratet.
Ab 1753-1756 dürfte die planmäßige Besiedlung mit „neuen Anbauern und Handwerkern“ im Hellental begonnen haben.
Einwohner aus benachbarten Dörfern und aus dem fernen Harz seien hier angesiedelt worden.[13]
Neun Jahre später, um 1765, dürfte dieses wirtschaftliche Planungsvorhaben weitgehend abgeschlossen gewesen sein, denn in Hellental befanden zu diesem Zeitpunkt bereits 15 neue Anbauer, unter ihnen 11 Leinenweber, 1 Schuster, 1 Schuhflicker, 1 Tabakspinner und 1 Krämer.
Hinzu kamen noch mehrere Glashütten- und Forstarbeiter, die zu den „alten“ Ansiedlern gehört haben sollen.[8]
Der Braunschweiger Hof unterbreitete den Vorschlag, neben Woll- und Leinenwebern, noch Säge- und andere Schmieden anzusiedeln und ihre Arbeit durch die Anlagerung einer Mehl-, Schleif- und Walkemühle, gespeist von der Quelle vom Hellenthal, zu fördern.
Die Mahlmühle soll 1756 errichtet worden sein.[10]
Noch 1863 stellte LAMBRECHT [11] fest, dass im Ort nur eine Quelle sei, „woraus das nöthige Wasser geschöpft wird“ und der „daraus entstehende Bach“ eine Mahlmühle antreibe.
Bei der Quelle handelt es sich um den in Buntsandstein gefassten „Großen Brunnen“, wie er noch heute im Dorf genannt wird, eine kräftig schüttende Bergquelle im alten Dorfzentrum.
In der Folgezeit wuchs das Dorf Hellental auf etwa 36 Hausstellen an, zu denen Garten- und Wiesenland sowie durchschnittlich 2 - 3 Morgen Ackerland zählten.
Weitere Anbauten folgten zwischen 1793-1798.[12]
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[1] zit. in TACKE 1943, S. 129 f.; BLOSS 1950.
[2] TACKE 1943, S. 131.
[3] TACKE 1943, S. 138.
[4] TACKE 1951; 1943, S. 138.
[5] zit. in TACKE 1943, S. 138.
[6] zit. in BLOSS 1950.
[7] KLEINAU 1967, S. 268; LAMBRECHT 1863, S. 706.
[8] TACKE 1943, S. 138 f.
[9] FÖRSTER 1996.
[10] LILGE 1993; LESSMANN 1984.
[11] LAMBRECHT 1863, S. 706.
[12] HEBBEL 1999; KLEINAU 1967, S. 268.
[13] Quellenangabe von TACKE 1943: LWH. Geh. Rats Registr. Suppl IV, 279.
[14] Vermessung von 1792, Feldbeschreibung der braunschweigischen General-Landes-Vermessung – NLA WO 20 Alt 178; K 3344.
[15] Quellenangabe von TACKE [1943]: LWH. Alte Berg- und Hüttensachen 185/86.