Arbeit und Not der „kleinen Leute“ in Hellental

Klaus A.E. Weber

 

Eng verknüpft mit der frühneuzeitlichen, vorindustriellen Siedlungs- und Entwicklungsgeschichte Hellentals sind – neben den traditionellen Glasmacherfamilien – auch weitere Arbeiter- und Handwerkerfamilien und ihre individuelle Geschichte.

Das Handwerk (Land- und Dorfhandwerk) war damals im Herzogtum Braunschweig der zweitwichtigste Wirtschaftsbereich, nach der Landwirtschaft.[1]

Für die „kleinen Leute“ war zudem der umgebende Wald von großer ökonomischer Bedeutung.

Zum einen galt er als „Sparbüchse für schlechte Zeiten“ [2], zum anderen diente er vielen Familien zur Existenzsicherung (Holzhauer, Köhler).

Wie aus dem Grundriß des Dorfes Hellenthal, nebst den dazu gehörigen Grundstücken von 1792 hergeleitet werden kann, waren die Besitzverhältnisse und damit verbunden die sozioökonomischen Lebensbedingungen der „kleinen Leute“ in Hellental durchaus unterschiedlich, wenn auch, im Gegensatz zu traditionellen Bauerndörfern, eher in geringem Maße.

Die jüngste Sozialschicht verfügte über einen nur geringen Besitz und geringe Rechte.

Ihr privates Anwesen bestand durchweg aus einer Kleinstelle mit einem Garten.

Typisch für die frühe Neuzeit war die dörfliche Gesellschaft von einer sozialen Differenzierung geprägt.

Auch über dem Hellental lag stets ein dichter Schleier von Armut, Not, Elend, Hunger und Krankheit.

So war es Hellentaler Familien, trotz großer Arbeitsamkeit und Bescheidenheit, kaum vergönnt, bei niedrigem Reallohn ein hinreichendes finanzielles Auskommen zu erzielen, so dass viele verarmte Familien gleichsam „auf Pump lebten”.

Die Überschuldung einzelner Familien muss dabei so enorm gewesen sein, dass sie gelegentlich auch gezwungen waren, Wiesen, Ackerflächen oder gar Häuser zur Schuldentilgung zu veräußern.

Man sprach dann im Dorf davon, dass ein Besitztum „über den roten Lappen gegangen“ sei.[3].

Archiviert ist auch ein Vorgang von 1796, in dem der am 10. Mai 1769 in Hellental geborene Soldat Johann Christoph Kuhlmann gegen seinen Bruder Christian Kuhlmann (?) daselbst wegen des väterlichen Hauses (Ass.-№ 14 (?)) in Hellental streitete.[4]

Beispielsweise zählte um 1800 zum Grund und Boden eines Brinksitzers in Hellental (Ass.-№ 9) - neben dem Wohnhaus mit Stallung - ein dahinter liegender Garten, ein ½ Waldmorgen (≈ 1.670 m²) großer, an der „Kuppel“ gelegener Garten sowie ein ¾ Waldmorgen (≈ 2.500 m²) großer Garten am Hellentaler Berg, eine 1 Waldmorgen (≈ 3.330 m²) große Wiese im „Hülsebruch“ und eine 2 Morgen (≈ 6.670 m²) große Wiese in der Mackensener Feldmarkt.

Die übergroße Armut des kleinen Sollingdorfes als Kommune wird beispielhaft auch durch den Umstand charakterisiert, dass die Gemeinde Hellental 1836 von ihrem Einwohner, dem Nachtwächter Johann Friedrich Eikenberg verzinslich ein Darlehn von 10 Talern erhalten hatte.

Hierzu ist in einem Vermerk zu lesen, dass Johann Friedrich Eikenberg ein vormals von ihm erhaltenes "Darlehn von 10 Thalern Courant zurückgezahlt mit Agio auf vorstehenden Betrag à Thaler 10 Pfennige ..."

Um die imposante Höhe der Darlehenssumme ermessen zu können, ist anzumerken, dass damals der Nachtwächterjahreslohn von Johann Friedrich Eikenberg 7 Taler betrug; für das Ausrufen und Ansagen in der Gemeinde erhielt er zudem 1 Taler jährlich.[5]

Wie das Brandversicherungskataster [6] des Dorfs Hellenthal ausweist, konnten bei der am 15. September 1834 durchgeführten Gebäudeerfassung insgesamt 54 Wohnhäuser sowie Scheuern und Nebengebäude gelistet werden.

Damals betrug die Brandversicherungssumme der Gemeinde - die Summa Catastri des Dorfes Hellenthal - abzüglich der Summe von 1.800 Reichstalern für das Schul- und Kapellengebäude insgesamt 20.725 Reichstaler.

In den Jahren danach, bis um 1849, kamen im Brandversicherungskataster handschriftlich vermerkte Veränderungen sowohl bei den Besitzverhältnissen als auch bei den Gebäuden (An- und Umbauten) hinzu.

Die gemeindliche Hebeliste zur Wegeabgabesteuer für den Ort Hellental von 1877 [6] weist insgesamt 58 Versicherungsobjekte aus.

Demnach waren gegenüber 1834 in den 43 Jahren nur vier neue steuerpflichtige Anwesen in Hellental hinzugekommen.

Bei 112 Personen wurde eine Wegeabgabesteuer mit der Gesamtsumme von 168 Mark und 67 Pfennigen erhoben.

Zur Mitte es 19. Jahrhunderts schrieb LAMBRECHT, dass die Hellentaler Einwohner „größtenteils Holzhauer und Köhler“ seien, „sowie auch von denselben Leinwandweberei und Spinnerei betrieben wird“.[8]

Nach rund 130 Jahren (1895) staatlich geförderter Ansiedlung lebten in Hellenthal bei Merxhausen 550 Einwohner.

Gemeindevorsteher und Standesbeamter war damals der Brinksitzer Ernst Seitz mit seinem Gehülfen Georg Sturm, dem auch das Amt des Gemeinde-Einnehmers oblag.

Der Brinksitzer Friedrich Hempel war stellvertretender Standesbeamter.

Im Braunschweigischen Landesadreßbuch [1] von 1895 sind zudem folgende, fast 110 (männliche) Personen – mit Namen, Besitzklassen- bzw. Standesbezeichnung (Brinksitzer, Häusling), Berufsbezeichnung, öffentlichem Amt (Gemeinderaths-Mitglied), fortlaufender Assekuranznummer (Ass.-№) – für das Capelldorf am Ausgang des 19. Jahrhunderts ausgewiesen.

Demnach bestanden in Hellental zum Ausklang des 19. Jahrhunderts insgesamt 67 Hausstellen, also 28 Hausstellen mehr als noch etwa 100 Jahre zuvor.

Merxhausen wies 1891 vergleichsweise 71 Häuser mit 501 Einwohnern auf.

Im 18./19. Jahrhundert waren in den Kirchenbüchern für Hellental insgesamt 75 Brinksitzer, 11 Anbauer und 61 Häuslinge ausgewiesen.[9]

Von den männlichen Dorfbewohnern waren etwa 44 % als Brinksitzer und etwa 41 % als Häuslinge in Hellental ansässig.

Somit lebten auffällig viele hausbesitzlose Häuslingsfamilien im Dorf, was zugleich auch die problematische sozioökonomische Lage der damaligen Dorfbevölkerung kennzeichnet.

Die Antwort auf die Frage, wie es denn in jener Zeit um die Finanzlage der Hellentaler Kommune bestellt war, ist der folgenden Bekanntmachung des Hellentaler Gemeinderates vom 06. August im Braunschweiger Anzeiger (Nr. 184) vom 08. August 1901 zu entnehmen:

„Unsere Gemeinde, welche eine der ärmsten des Herzogthums ist, hat als Eigentum nur ein Schulhaus, ein Armenhaus, ein Spritzenhaus und ein Gemeindebackhaus.

Diesen Grundstücken stehen aber Schulden (Anm.: Anleihen) in Höhe von 10.185 M gegenüber.

Um den diesjährigen Steuerbedarf zu decken, müssen 500 pCt. der Staatseinkommensteuer erhoben werden.“[5]

Ohne eindeutig nachvollziehbare Ass.-№-Zuordnung sind folgende steuerpflichtige Personen in der Hebeliste zur Wegeabgabesteuer von 1877 (unter der fld.Nr. 61-112) aufgelistet:

  • Carl Brackmann, August Eikenberg (Barbier), Friedrich Eikenberg („Krause“), Albert Engelke, Hermann Meyer, August Eikenberg („Krause“), Wilhelm Schütte, Timmermann (Gastwirt), Friedrich Düwel, Wilhelm Mengeler, Carl Schütte/Sievers, Heinrich Eikenberg Junior („Krause“), August Kunkel, Georg Eikenbereg, Carl Eikenberg (Constabel = Stellmacher), Georg Seitz, Louise Bartels, August Kuhs, Heinrich Grimme, Georg Eikenberg, Carl Köke, Karl Schoppe (Schmied), Carl Meyer (Förster), Georg Bitter, Christian Karre, Georg Eikenberg (Constabel = Stellmacher), Carl Bartels, Wilhelm Broesecker, Heinrich Seitz, Baumann, Georg Meyer (Förster), August Seitz, Carl Hirschberg, „Witten“ Seitz, Carl Albrecht, Wilhelm Seitz, „Witten“ Eikenberg („Hase“), Daniel Schoppe, Wilhelm Brackmann, Carl Brackmann, August Roloff, Heinrich Karre, Carl Sontag, Wilhelm Bitter, August Heise, August Schoppe, Carl Schoppe, Hempel (Forstwart), Julius Siewers.

 

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[1] JARCK/SCHILDT 2000.

[2] TACKE 1943, S. 50.

[3] CREYDT 1988.

[4] NLA WO 8 Alt Allersheim 04 lfd.Nr. 20.

[5] zit. in LESSMANN 1984.

[6] Braunschweigisches Landesadreßbuch 1895; in Fotokopie überlassen aus der Privatsammlung von Friedrich Schütte, Holzminden (2003).

[7] Brandversicherungs-Catastrum des Dorfs Hellenthal Herzogl. Amts Stadtoldendorf vom Jahre 1834 … Herzoglich Braunschw: Lüneburg. Finanz Collegium; im Original zur Einsicht überlassen aus der Privatsammlung von Friedrich Schütte, Holzminden (2004).

[8] LAMBRECHT 1863, S. 706.

[9] NÄGELER/WEBER 2004.