Grabsteine der Familie Rothschild │ 1867-1934
Klaus A.E. Weber
Grabsteine als Zeitzeugen des 19. Jahrhunderts
In Merxhausen sind zu Beginn des 19. Jahrhunderts drei jüdische Familien nachweisbar, die durch den Leinenhandel zu Wohlstand kamen.
Das südöstlich auf dem Jüdischen Friedhof imponierende Grabsteinensemble der Familie Rothschild gehört zu den wenigen erhaltenen materiellen Zeugnissen ihrer jüdischen Kultur in Merxhausen.
Auf dem Friedhof ruhen benachbart die angesehenen Unternehmerbrüder
-
Julius Rothschild (1853-1921) ③
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Salomon Rothschild (1863-1930) ④
- Ephraim Rothschild (1859-1934) ①
Grabsteinensemble der Familie Rothschild │ Dezember 2024
Blick von Süden
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Als „Zeugen der versteinerten Geschichte von Juden und Deutschen“ [4] tragen die Grabsteine Namenstafeln der Familie Rothschild.
Die aufrecht stehenden Grabsteine haben einen seit Anfang des 19. Jahrhunderts immer häufiger werdenden Grabsteinsockel, dem der Hauptstein aufgesetzt ist.
Bestand zunächst der Eindruck, die Grabsteine seien in chronologischer Abfolge in Reihen aufgestellt worden, ist dem hingegen aber festzustellen, dass dieses Prinzip offensichtlich durchbrochen wurde.
Die Grabsteine sind in ihrer äußeren Form zum Teil recht aufwändig und identisch aus einheimischem Buntsandstein gestaltet mit rundbogigem geschwungenen oberen Abschluss.
Der helmartige Abschluss ist ähnlich der christlichen Symbolik mit zwei liegenden, nach unten hin gekreuzten Palmzweigen als florales Element geschmückt, die die Verehrung des Verstorbenen hervorheben und auf das ewige Leben hindeuten.
Die Gestaltung der Grabsteine legt insgesamt nahe, dass sie eine familiäre Verbundenheit der Familie Rothschild ausdrücken sollen.
Alle Postamente sind auf Hebräisch beschriftet, teils aber bis zur Unleserlichkeit verwittert.
Auffälligerweise fehlen teils obere Abschlüsse oder Namenstafeln, auch gibt es auch weitere Beschädigungsspuren.
Bei älteren Grabsteinen ist die Inschrift eingemeißelt, jüngere tragen schwarze, gut lesbare Schrifttafeln gleicher Form [6], wobei in deutschem Text über dem Namen und den persönlichen Angaben der Satz „Hier ruht in Gott“ oder „Hier ruht“ steht, darunter der Satz „Ruhe in Frieden!“ oder „Ruhe sanft!“.
Die fortschreitende Verwitterung der Grabsteine geht mit einem Verlust der Grabinschriften einher.
Es ist zu diskutieren, ob die schwarzen, gut erhaltenen Schrifttafeln zu einem späteren Zeitpunkt auf vorbestehende, eingehauene Inschriften aufgesetzt wurden, denn im 19. Jahrhundert wurde es üblich, alte verwitterte Grabsteine zu restaurieren oder zu ersetzen.
Inschriften
Die Inschriften von Grabsteinen auf dem Jüdischen Friedhof bei Merxhausen wurden bei HENZE/LILGE [1] und MITZKAT/SCHÄFER [3] dokumentiert.
Eine orientierende Nachuntersuchung erfolgte im Dezember 2024 durch den Autor als Leiter des Historischen Museums Hellental.
Führten im Jahr 1989 HENZE/LILGE [5] aus, dass Sockel und Rückseite der Grabsteine eine hebräische Beschriftung tragen würden, so ist im Jahr 2024 hingegen aber erkennbar, dass nur zwei Grabsteine auf ihrer erodierten Rückseite hebräisch sprachliche Inschriften aufweisen.
Erhaltene (rückseitige?) hebräische Inschriften │ Dezember 2024
Blick von Norden
Zum Vergleich: Erhaltene vorderseitige hebräische Inschriften
Jüdischer Friedhof bei Mackensen │ Dezember 2024
© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber
Der Grabstein ⑨ von Samson Josef Rothschild, gestorben 1867, gilt als der älteste, der letzte Grabstein ① wurde 1934 für Ephraim Rothschild errichtet.
Im Boden liegende Buntsandsteinplatten waren ehemals freistehende Grabsteine; jetzt teils von Gras überwachsen.
Vier tief im Boden sitzenden, kleinen Grabsteine ohne erkennbare Beschriftung können unterschiedlich interpretiert werden.[4]
Lage erhaltener Grabstellen auf dem Friedhof │ 1989
HENZE/LILGE 1989 [2]
Blick jeweils von Süden
①
Ephraim Rothschild
geboren am. 23. April 1859 in Merxhausen
gestorben am 04. Juli 1934 in Merxhausen
* Anmerkung:
da 1934 verstorben, erlebte Ephraim Rothschild „noch das Heraufziehen der braunen Diktatur, was bei ihm Unverständnis und düstere Ahnungen ausgelöst habe“.[7]
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
②
Moritz Rothschild
geboren in Zorge am Harz am 7. März 1857
gestorben in London am 23. Juni 1917
* Anmerkung:
mutmaßlich Sohn von Dr. Simon Rothschild ⑤ und Emilie Weiler ⑥ │ Eheschließung 1853
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
③
Julius Rothschild
geboren 14. September 1853
gestorben 10. September 1921
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
④
Salomon Rothschild
geboren 25. Dezember 1863
gestorben 28. Dezember 1930
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
⑤
vermutlich: Dr. Simon Rothschild
S. R. (Sanitätsrat? │ Buchstaben waren 1989 noch lesbar [8])
[geboren am 03. November 1824]
[gestorben 1906]
ohne Aufsatz und Inschriftentafel
* Anmerkung:
Nach HENZE/LILGE [8] und der Recherche des Autors als Leiter des Historischen Museums Hellental (12/2024) bezeugt eine Eintragung im Immatrikulationsverzeichnis der Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig (Technische Universität Braunschweig) vom 29. April 1844 (Ostersemester 1844, Zeile 4) unter der Matrikel-Nr. 3049 des Collegium Carolinum für das Studienfach Medizin Rothschild, Simon, Merxhausen, 19.[9]
Als Vater wird hier Rothschildt, Kaufmann in Merxhausen, genannt; keine Angaben zur Mutter.
Mutmaßlich war Simon Rothschild der Ehegatte von Emilie Rothschild, geborene Weiler ⑥.
Deren Eheschließung ist für 1853 beurkundet.
Des Weiteren ist - nicht zweifelsfrei - anzunehmen, dass Simon Rothschild identisch mit dem Sanitätsrat Rothschild in Zorge am Harz sein könnte, der am 03. November 1824 geboren und 1906 verstorben ist.
Um die Totenruhe nicht zu stören, erhielt der gestorbene Ehepartner eine eigene Grabstätte mit eigener Mazewa neben seiner vorverstorbenen Gattin (Paargrab).
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
⑥
Frau S. R. Phys(ikus)
Dr. Rothschild
Emilie geb. Weiler
geboren Brakel 13. April 1834
gestorben Zorge 20. Juni 1907
Nach 54 jährigem glücklichen
Eheleben ruht dieselbe friedlich
neben ihrem Gatten.
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
⑦
heute relativ unleserlich (Verwitterung):
Henriette Rothschild
geb. Nordheimer
geb. 25. Mai 1825
gest. 31. Mai 1895
Vorderseite
Rückseite
© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber
⑧
heute unleserlich (Verwitterung):
Kaufmann
Joseph Rothschild
geboren 8. Juli 1811
gestorben 17. Juni 1887
Vorderseite
Rückseite
© [hmh, Fotos: Klaus A.E. Weber
⑨
Vorderseite eines umgekippten Grabsteins - heute weitgehend unleserlich (Verwitterung):
Samson Josef Rothschild
geboren 24. Juli 1785
gestorben 17. Januar 1867
* Anmerkung:
Nach HENZE/LILGE [8] war die Gattin von Samson Josef Rothschild die am 19. März 1785 oder am 06. November 1788 in Northeim geborene Henriette Berg.
Als Jahr der Eheschließung wird das Jahr 1807 angegeben.
Am 02. Februar 1887 sei sie in Merxhausen verstorben.
Als Grablegung kommen die Gräber ⑩ oder ⑬ in Frage.
Vorderseite des umgekippten Grabsteins
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
Die Inschrift „S.I.R“ auf einem erhaltenen Sandsteinpfosten (Pforte) des 1974 von der Gemeinde beseitigten Lager- und Kontor-Hauses der Familie Rothschild erinnert noch heute an Samson Josef Rothschild.
Sandsteinpfosten am ehemaligen Warenlager │ Mai 2020
S.I.R = Samson Ioseph (Josef) Rothschild
© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber
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[1] HENZE/LILGE 1989, S. 140.
[2] HENZE/LILGE 1989, S. 140 Abb. 2.
[3] MITZKAT/SCHÄFER (o.J.), S. 42-45.
[4] HENZE/LILGE 1989, S. 139.
[5] HENZE/LILGE 1989, S. 141, 144.
[6] Es ist zu diskutieren, ob die schwarzen, gut erhaltenen Schrifttafeln zu einem späteren Zeitpunkt auf vorbestehende, eingehauene Inschriften aufgesetzt wurden, denn im 19. Jahrhundert wurde es üblich, alte verwitterte Grabsteine zu restaurieren oder zu ersetzen, auch wurden hierbei Widmungsinschriften angebracht.
[7] HENZE/LILGE 1989, S. 145.
[8] HENZE/LILGE 1989, S. 145-146.
[9] Matricul des Collegii Carolini. 1745 [bis 1900] │ Düsterdieck, P., 1983. Die Matrikel des Collegium Carolinum und der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig, 1745 - 1900: bearb. von Peter Düsterdieck, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen. Lax, Hildesheim, S. 75..