Agrarisch-handwerkliches Gebäudeensemble

Klaus A.E. Weber

 

Vom stattlichen "Sollinghaus" an der Dorfstraße zum Ausstellungshaus

Mit seinen regionalen Unterschieden in Konstruktion und Verzierung ist das Fachwerk nicht nur schön anzusehen, es bereichert im Alltag selbstverständlich auch unsere Städte und Dörfer.

Fachwerkbauten haben eine enorme Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit - und ein ausgesprochen angenehmes Wohnklima.[4]

 

Südwestansicht des Museumshauses │ Juli 2019

Flügelfenster mit durch Holzsprossen

unterteilter Originalverglasung

Die in der "Gazze" einsehbare nordwestliche

Giebelseite ist fachwerksichtig

mit roten Ziegelsteinen schlicht ausgemauert.

© Foto: Mechthild Ziemer

 

In der 1753 entstandenen Arbeitersiedlung "Colonie im Hellenthale" spiegelt ein authentisches, ehemals landwirtschaftlich basiertes Gebäudeensemble die regionale ländliche Baukultur wider, bestehend aus dem Haupthaus (Wohnhaus), einem Wirtschaftsgebäude (Tenne), einem Nebengebäude (Stallgebäude) und einem Hof.

Diese typische Bauweise der Holzarchitektur ist mit dem in früher wilhelminischer Zeit errichteten Museumshaus weitgehend präsent und spiegelt daher ein architektonisches regionales Erbe des Fachwerkdorfes Hellental im Solling wieder.

 

Blick auf die südöstliche Giebelseite

des "Hauses Hempel" (Bildmitte) │ Ass.-№ 40

Bleistiftzeichnung [2] und Fotografie im Jahr 1900

© Historisches Museum Hellental

 

Regionale Besonderheit

Herausragendes Einzelobjekt aus Ökobaustoffen

Das robuste, privat geführte Museumshaus ist ein mit dem historischen Hellentaler Ortsbild im Einklang stehendes agrarisch-handwerklich genutztes Fachwerkgebäude.[1]

Das Wohnhaus mit Scheune wurde 1884 in schlichter Fachwerkbauweise (ohne ornamentierendes Schnitzwerk) als noch heute imposant wirkendes, traufenständig ausgerichtetes Wohnhaus auf dem Gewölbekeller eines Vorgängerhauses errichtet.

Es zeigt eine gewisse Machtdemonstration seines Erbauers aus der Familie Hempel.

 

Gebäudebeschreibung Ass-Nr. 40

zur Brandversicherungstaxierung 1885 [6]

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Im Hinblick auf eine Skizzierung der Nachhaltigkeit von Fachwerkhäusern kann auf die modellhafte Beschreibung eines 1517 erbauten Fachwerkhauses in Leichlingen zurückgegriffen werden.[9]

Das Fachwerkgebäude ist unmittelbar baulich auf seine Umgebung ausgerichtet und nutzt natürliche Gegebenheiten, wie beispielsweise (Sprossen-)Fenster auf der Sonnenseite, die mehr Licht in das Gebäudeinnere bringen.

Die das Dach traditionell bedeckenden regionalen Sandsteinplatten wurden in den 1980er Jahren durch moderne Betondachsteine "Frankfurter Pfanne" ersetzt.

Die Fachwerkkonstruktion ist langlebig, stückweise reparabel und besitzt eine klimafreundliche CO2-Speicherung.

 

Hölzerne Konstruktionselemente

des sanierten Fachwerkhauses [1]

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Gebäudeteile wurden teilweise mit Holz verkleidet.

Die Gefache bestehen aus Naturprodukten, wie Lehmstrich und Kalkputz, teils auch aus Ziegelsteinen.

Die eher kleinen Sprossenfenster halten die Wärme im Wohnhaus.

Der Buntsandsteinsockel hält Abstand zum Baugrund.

Auf ihm ruhen die Schwellen, auf denen die Ständer des Fachwerks aufsetzen.

Die Schwellen können relativ einfach ausgewechselt werden, was die Lebensdauer des Sockels verlängert.

Das vorherrschende Bauelement ist das Eichenfachwerk (Eichenholz für Balken und Ständer) „in enger Anlehnung an die überlieferte landschaftsgebundene Bauweise“.[5]

 

Schaufassade des ehemaligen Wohnhauses

"Hempel" │ 1950er Jahre

© Archiv Historisches Museum Hellental

 

Schaufassade des ehemaligen Wohnhauses

"Hempel" │ April 2013

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Das Fachwerkgebäude liegt traufenständig zur alten Dorfstraße, betont durch einen mittigen Zwerchgiebel.

Ortstypisch und auch als Zeichen im Wandel der Lebensformen in der Solling-Region ist der historische Fachwerkbau

  • in Stockwerksbauweise
  • mit eher schlichter Schmuckfassade (ohne Schnitzwerk) in Form hellverputzter Ausfachungen und vorstehenden Kassetten
  • einfach vorkragendem Obergeschoss

auf den Grundmauern eines um etwa 1795/1800 errichteten und später abgebrannten Vorgängergebäudes (Keller und Stallraum) zurückzuführen.

Die Konstruktion wird von einem großen Dachboden gekrönt, der einst als Getreidespeicher und/oder als Heulager diente.

Zur Ein- und Auslagerung diente hierbei eine an einem vorspringenden Holzbalken befestigte Seilrolle oder ein Flaschenzug.

Wie für die Häuser und die Gegend typisch, war bis in die 1980er Jahre das Dach mit großformatigen Buntsandsteinplatten gedeckt.

In späterer Zeit wurden großformatige Buntsandsteinplatten auch zur zierlosen Behängung des Wohnhauses im Hofbereich verwendet.

In klarer Linienführung zeigt sich das Fachwerk mit Gefachen, die zwar fachwerkbündig eingeputzt sind, hingegen nach dem Beistrich mit vorstehenden, farblich abgesetzt Kassetten imponieren.

 

An der "Dorfstraße" gelegenes Gebäudeensemble

Ass.-№ 40 (grün markiert)

Mai 1930 [3]

© Historisches Museum Hellental

 

Gebäudeensemble │ Ass.-№ 40 │ Dorfstraße

Erstmals ist das holzarchitektonisch schmucklose Fachwerkgebäude im Jahr 1834 als Liegenschaft von Ferdinand Meyer mit der Ass.-№ 40 nachweisbar.

Es kann als Beleg für das eher bodenständige Leben seiner einstigen Bewohner*innen angesehen werden.

Zu dem auf einem Gelände mit ca. 15 % Gefälle errichteten, landwirtschaftlich basierten Gebäudeensemble mit Hof zählen mit unterschiedlicher Gebäudekonstruktion (Plan 1930)

  • Wohnhaus mit Treppen, Flur, Kammer, Küche, Speise-Kammer (2 Räume), 2 Stuben

  • Tenne

  • Stallgebäude für Kühe und Schweine

 

Wohnhaus │ Auszug aus der Bauakte von 1930 [3]

© Historisches Museum Hellental

 

Wohnhaus von 1884

Nach einem Brand des Vorgängergebäudes wurde das Wohnhaus im Jahr 1884 durch den in Grünenplan geborenen, in Pilgrim zum Forstwart ernannten Carl Friedrich Wilhelm Hempel (1837-1916) wieder errichtet, ein Sohn des Waldarbeiters und Brinksitzers Johann Heinrich Friedrich Hempel in Grünenplan.

Kennzeichen des auf dem Gewölbekeller eines Vorgängerbaus errichtete Fachwerkgebäude mit Keller, zwei Vollgeschossen (Erd- und Obergeschoss) und Dachgeschoss mit Ladeluke sind

  • Fassaden: (N-O) Nordost │ (S-O) Südost │ (S-W) Südwest │ (N-W) Nordwest - Außenmauerwerk aus Lehmziegeln oder mit roten Ziegelsteinen schlicht ausgemauert

  • Holzarchitektur "Eichen- und Tannen-Steinfachwerk"

  • schlicht ausgemauertes Backsteinmauerwerk │ einschalige Außenmauer

  • Sockelmauerwerk │ regelmäßiges Schichtmauerwerk aus Sollingsandsteinen

  • Freitreppe mit Podest │ massive Blockstufen aus Sollingsandstein

  • Kellergewölbe mit zwei "Preußischer Kappendecken" │ Kellertür und Kellerfenster │ Einbauten

  • Fassade N-O: Gefache im Ständerwerk │ einfacher glatter Putz

  • Fassade S-W, hofseitig gelegene Traufseite: der freie Teil seit der Erbauung mit großen Sandsteinplatten behängt, der andere Teil durch Scheunenanbau überbaut

  • Giebelseite N-W und S-O: fachwerksichtig mit roten Ziegelsteinen schlicht ausgemauert

  • Satteldach mit Dachaufbauten │ Dachbedeckung ehemals mit großformatigen Buntsandsteinplatten

  • Flügelfenster als Außenfenster │ durch Holzsprossen unterteilte Originalverglasung (Sprossenfenster mit farblosem, altem Glas)

  • mit Holztreppen verbundene Innenräume (Wände in Lehmbauweise, Decken mit Weller)

 

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Tenne │ Auszug aus der Bauakte von 1930 [3]

© Historisches Museum Hellental

 

Tenne

1884

  • Bruchsteinmauerwerk

  • Holzarchitektur "Tannen-Steinfachwerk"

  • schlicht ausgemauertes Backsteinmauerwerk

  • Holzbalkendecke

  • "Sollinger Sandsteinplatten"

  • Satteldach

1900

  • Bruchsteinmauerwerk

  • Holzbalkendecke

  • Holzschleppdach

  • mehrteiliges Scheunentor aus Fichtenholz (Höhe: 3,45 m, Breite: 3,05 m)

 

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Stall │ Auszug aus der Bauakte von 1930 [3]

© Historisches Museum Hellental

 

Stallgebäude von 1930/32

unterteilterr Stall für Kühe und Schweine │ später Holz- und Kohlenlager

  • Bruchstein- und Backsteinmauerwerk

  • "Tannen-Steinfachwerk"

  • Massivdecke

 

Die Gebäude waren seit ihrer Errichtung nicht durchgreifend umgebaut, erneuert oder erweitert worden.

 

1986 - Beschädigung der Freitreppe durch britischen Militärpanzer

Bei einem Militärmanöver wurde am 18. April 1986 um 13:15 Uhr die Treppenanlage durch den Panzer 0IFA 65 der britischen Truppeneinheit FLO SQN Re unter dem Fahrer SPR. Mackenzie angefahren und der Unterbau verschoben.

Die sieben roten Wesersandsteinquader der Außentreppe und das Podest mit Eisengeländer wurden hierdurch beschädigt.

Der Manöverschaden wurde durch das Steinwerk-Firma August Jäger KG in 3354 Dassel (Solling) beseitigt und die entstandenen Instandsetzungskosten in Höhe von DM 3.288,90 am 03. Juli 1986 vom Amt für Verteidigungslasten der Landeshauptstadt Hannover dem damaligen Hausbesitzer erstattet (Entschädigung nach Artikel VIII des NATO-Truppenstatus).

 

Ehemaliger Küchengarten

gegenüber dem Wohnhaus

Vor der Sandsteintreppe zum Wohngebäude befand sich gegenüber der vorbeiführenden Dorfstraße ehemals der 40 m² große, zeittypische "Küchengarten vor dem Haus".

In Erinnerung an diese traditionelle Gartennutzung wurde 2016 ein Baum der bedrohten, rot bunt gefäbten Süßkirschsorte "Kunzes" im Rahmen des Projektes 'Alte Kirschsorten im Landkreis Holzminden' [7] gepflanzt.

 

Dem "Sollinghaus" ehemals gegenüber

liegender Küchengarten │ um 1955

© Historisches Museum Hellental

 

„Tapetenwechsel“ 1975

 

© [hmh, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Bei den Sanierungs- und Renovierungsarbeiten wurden im Jahr 2019 hinter einer abgelösten "modernen" Tapete vier vergilbte Seiten der Montagsausgabe des Täglichen Anzeigers Holzminden (TAH) vom 08. Dezember 1975│Nr. 285│198. Jahrgang vorgefunden [8] – knapp 200 Jahre nach der ersten Ausgabe 1777.

Die vier Seiten der TAH-Montagsausgabe waren direkt auf den Lehmverputz aufgebracht und danach mit der "modernen" Tapete überklebt worden.

Dies lässt schlussfolgern, dass letztmals um 1975/1976 in dem Wohnhaus Innenrenovierungen erfolgten – mit einem Tapetenwechsel.

 

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[1] Monumentendienst Weserbergland │ Inspektionsservice für regionaltypische Gebäude in der SOLLING-VOGLER-REGION │ Untersuchungsbericht │ Gebäude Lönsstraße 6, 37627 Hellental │ Untersuchungsbereich Hauptgebäude │ Auftraggeber: Dr. Klaus Weber, Sollingstr. 17, 37627 Hellental │ Ausführung: Björn Toelstede, Restaurator im Zimmerhandwerk i. A. │ Juli 2013.

[2] Ausschnitt aus einer Bleistiftzeichnung von H. Meyer aus Hannover, im September 1900 - im Privatbesitz von Rudolph Timmermann, Hellental.

[3] Auszug aus der Bauakte Landkreis Holzminden, Aktenzeichen: 257/30, Antragsbeschreibung: Stallgebäude, Gemarkung, Hellental, Lönsstr. 6 │ Bauherr: Hempel, Friedrich │ eingesehen am 22. Juli 2013.

[4] Zum "Fachwerkbau und Fachwerkkunst im Weserraum" wird verwiesen auf  HANSEN 1980, S. 9-24.

[5] TACKE 1943, S. 142.

[6] Auszug aus dem "Brandversicherungs Cataster des Dorfes Hellenthal, Herzolicher Amtsbereich Stadtoldendorf im Jahr 1851" (beginnend).

[7] Projekt: Alte Kirschsorten im Landkreis Holzminden. Untere Naturschutzbehörde.

[8] Mitarbeiter des Malermeisterbetriebes René Klemmer │ Hellental.

[9] Tag des offenen Denkmals®. Magazin zum Tag des offenen Denkmals® 2020, S. 14.

[10] Veröffentlichung der Bildaufnahme vom Juli 2019 mit freundlicher Genehmigung von „Die Stadtfotografen │ Mechthild Ziemer │ Stadtoldendorf“ am 15. Januar 2020.