Merkantilismus und Protoindustrialisierung

Klaus A.E. Weber

 

Von Technik, Wachstum und Ressourcen geprägtes 18. Jahrhundert

Aufstrebende Wirtschaftsformen mit allmählicher gewerblicher Durchdringung des ländlichen Raumes

Landesgeschichtlich gilt insbesondere der Solling als strukturell fragiles Wirtschaftsgebiet und „als Beispiel für den Stilwandel fürstlicher Herrschaft im 18. Jahrhundert“, der durch den Zeitgeist des Merkantilismus [15] gekennzeichnet war, „reich an Ideen“, aber „arm an fiskalischen Erträgen“.[1]

Als staatlicher Einfluss veränderte der Merkantilismus entscheidend das Regionalprofil bis hin in die abgelegenen braunschweigischen Dorf:Region von Heinade, Hellental und Merxhausen.

In der frühen Neuzeit erfuhr der Solling eine Industrialisierungsphase, einhergehend mit seiner wirtschaftlichen Erschließung.

Als Vorläufer der Industrialisierung im heutigen Sinne gelten u. a. die staatlich geförderte Entwicklung im Hüttenwesen, die Entwicklung des Verlagssystems und der Manufakturen (Textilgewerbe), deren Produktionsweisen sich bis weit in das 19. Jahrhundert fortsetzten.[2]

Es sind solche gewerblichen, vorindustriellen Herstellungsverfahren, die auch maßgeblich die wirtschaftliche und damit auch die soziale Situation der hier regional betrachteten Dorfbevölkerung bestimmten.

Im 16. Jahrhundert begann zunächst die Phase, die in der Literatur häufig (allerdings nicht unkritisch) als so genannte Proto-Industrialisierung bezeichnet wird, als Vorgeschichte der Industrialisierung - vom Handwerk zur Manufaktur.[14]

Sie war gekennzeichnet durch die allmähliche gewerbliche Durchdringung des ländlichen Raumes („ländliche Nebentätigkeit“).

Dominierte zunächst noch die mittelbäuerlich geprägte Agrarwirtschaft, so kamen später nicht-agrarische Einkommensbestandteile auf dem Lande hinzu.

Während des 18. Jahrhunderts entwickelte sich neben der städtischen gewerblichen Wirtschaft zunehmend das Landhandwerk.

Hierfür ist in Niedersachsen das weit verbreitete Garnspinnen und Leinenweben ein besonderes Beispiel für ländliches Gewerbe mit internationalem Export in westeuropäische Handelszentren.

In dieser Zeit verdichtete sich das Marktgeflecht.

Um ihre Territorien wettbewerbsfähig zu gestalten, nutzten die Landesfürsten der frühen Neuzeit mehr oder minder geschickt das „Prinzip der Konkurrenzfähigkeit durch Imitation“.

Hierbei war die Förderung des Gewerbes eine wesentliche Kenngröße, wozu auch externe Arbeitskräfte als „Anbauer“ für den eigenen Wirtschaftsraum angelockt wurden (Arbeitsimmigration).

Zum Ende des 18. Jahrhunderts hin wurde in den niedersächsischen Territorialstaaten der wirtschaftliche und soziale Wandel deutlich beschleunigt und die „Binnenkolonisation“ staatsökonomisch hoch bewertet.[3]

 

Epoche besonderer kultureller und wirtschaftlicher Blüte im Herzogtum Braunschweig

Während des 18. Jahrhunderts erlebte das Herzogtum Braunschweig, beginnend unter Herzog Anton Ulrich (1633-1714), eine „Epoche besonderer kultureller und wirtschaftlicher Blüte“.[4]

Es entwickelte sich während der früh angetretenen, langen absolutistischen Regierungszeit von Herzog Carl I. (reg. 1735–1780) von Braunschweig-Wolfenbüttel die zwar aufstrebende, aber mehr oder weniger erfolgreiche Wirtschaftsordnung und unbeschränkte Herrschaft des später so benannten Merkantilismus [15].

Dessen Voraussetzungen waren im Land Braunschweig um etwa 1730 gegeben.

Nach KAUFHOLD [13] wurde die Wirtschaft „eng an den Staat gebunden, der ihr Ziele setzte, Aufgaben stellte, den Rahmen ihrer Betätigung bestimmte. Vom Staat her gesehen … war [sie] Mittel zum Zweck“.[5]

Herzog Carl I. zur Seite stand „sein allmächtiger Minister Bernhard Schrader von Schliestedt, dessen unleugbar großer Geist ständig über neuen Entwürfen zur Landeswohlfahrt brütete“.[6]

In diesem Zusammenhang kann nicht unerwähnt bleiben, dass die ab 1736 nach Braunschweig (Graues Hofschloss, erbaut 1717-1735) verlegte, ständige herzogliche Residenz mit der großen, üppig-glanzvollen Hofhaltung (Hofstaat von ca. 400 Personen [7]) unter Herzog Carl I. und seiner Gemahlin Philippine Charlotte (1716-1801) finanziell sehr aufwändig geworden war.

Bei bereits bestehender hoher Schuldenlast des Herzogs bedurfte seine prunkvolle barocke Hofkultur fiskalischer Zuflüsse.

Hierzu sei angemerkt, dass Philippine Charlotte eine preußische Prinzessin (1716-1801) war, die Tochter von König Friedrich Wilhelm I. von Preußen und somit eine Schwester von Friedrich II. (Heirat am 02. Juli 1733).

Der Merkantilismus wurde die Volkswirtschaft des kleinen absolutistischen Territorialstaates zur "Beförderung des hiesigen Commerce", zur Förderung der Wirtschaft zu Gunsten der Selbstversorgung und zum Erreichen einer aktiven Handelsbilanz.[15]

Dazu wurden im Land Braunschweig arbeitsteilige, nicht zunftgebundene Großhandwerksbetriebe als Manufakturen staatlich gefördert oder Spezialindustrien neu aufgebaut.

Die Porzellanerzeugung im Schloss Fürstenberg (ab 1747) und die Glasherstellung in Holzen, Grünenplan und Schorborn sind hierfür bedeutende regionale Wirtschaftszeugnisse.[8]

Technische Verbesserungen wie auch die gewachsene Nachfrage nach Manufakturprodukten wurden von den Braunschweiger Herzögen der frühen Neuzeit fiskalwirtschaftlich dazu genutzt, das Land Braunschweig mit staatseigenen, gewinnbringenden Manufakturen auszustatten, um letztlich auch ihr Bedürfnis nach höheren Staatseinnahmen befriedigen zu können.

Im Sinne des Merkantilismus wurde beispielsweise um die Zeit der Stilllegung der Glashütte Steinbeke im Hellental von Herzog Carl I. 1744 die fürstliche Spiegelhütte "auf dem Grünen Plan" im "Ackenhäuser Holz" auf dem Grund einer früheren Glashütte errichtet.

Ihr folgte ab 1748 eine planmäßige Werkssiedlung für Glasmacher.

Zeittypisch gilt die Spiegelglasmanufaktur Grünenplan nach KAUFHOLD [12] als eine „merkantilistisch inspirierte herzogliche Gründung“, die dann „wegen der guten Qualität ihrer Waren einen über das Herzogtum hinausreichenden Ruf“ erlangte.

Ein weiteres Beispiel des Braunschweiger Merkantilismus ist die zeitgleiche Anlage der Fürstlichen Glasmanufakturen in Schorborn und Holzen.

Um 1744 wurde am Schorbornsteich eine „weiße“ Hütte und bei Holzen eine „grüne“ Hütte unter der maßgeblichen Wirkung des Wolfenbüttelschen Cammer Raths Thomas Ziesich (= Thomas Ziesig) gegründet.

Am 29. Dezember 1743 war der Kammerrat Ziesig durch Herzog Carl I. beauftragt worden, "zu dem Hüttenbau an der Weser, seinem Vorschlag nach, möglichst Anstalt zu machen, auch die Haushaltung so einzurichten, daß [man] nach Ablauf eines Jahres die Malter-Holz-Consumtion [9] ganz genau wissen könne."

Bereits 1748 war dann dem Hofjägermeister von Langen (1699-1776) die Aufsicht über die Glas- und Spiegelhütte übertragen worden.[10]

Um 1800 gab es im gesamten Herzogtum Braunschweig nur fünf Glashütten (als „Fabriken“), eine großbetriebliche, relativ umsatzstarke Glasmanufakturen in Grünenplan und Schorborn mit den Filialglashütten Pilgrim, Mühlenberg und Mecklenbruch als kleinere Unternehmen im Solling zur Ausnutzung der dortigen Holzbestände.[11]

 

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[1] SCHUBERT 1997.

[2] SCHLEGEL 2003, S. 7.

[3] HAUPTMEYER 2004, S. 80 ff.

[4] HOFFMANN 2004, S. 47.

[5] zit. in KRUEGER 2003, S. 35.

[6] zit. in TACKE 1943, S. 93.

[7] BIEGEL 1997.

[8] HAUPTMEYER 2004; JARCK/SCHILDT 2000; BIEGEL 1997; ALBRECHT 1995; KOCH 1995; KAUFHOLD 1983; TACKE 1951.

[9] Brennholzbedarf.

[10] HENZE 2004, S. 99.

[11] KAUFHOLD 1983, S. 206.

[12] KAUFHOLD 1982, S. 205.

[13] KAUFHOLD 1998.

[14] Übersicht bei BAYERL 2013, S. 98-114.

[15] modern-ökonomisch: Leistungsbilanzüberschuss/Außenhandelsüberschuss - Zu ihrer staatlichen, frühkapitalistischen Einnahmesteigerung förderten Fürsten ihre heimischen (inländischen) Manufakturen und Monopolbetriebe zur Herstellung von Exportprodukten, wohingegen Importe verboten bzw. mit hohen Zöllen (Importzölle) belegt wurden.