„Trichinenkrankheit“ beim Fehlwirt Mensch

Klaus A.E. Weber

Leitender Medizinaldirektor / Amtsarzt a. D.

 

Um 1906 für Trichinenschauer

im Herzogtum Braunschweig angefertigte Zeichnung

einer spiralig aufgerollten

"Muskeltrichine" und spindelförmig abgekapselter

"Trichinen im Fleische".[1]

© Historisches Museum Hellental, Foto: Klaus A.E. Weber

 

Die Trichinose (Trichinellose, Trichinelliasis) ist eine noch heute global mit variabler Neuerkrankungsrate vorhandene Infektionskrankheit des Menschen, verursacht durch die parasitische Lebensweise der Fadenwürmer (Nematoden) des Genus Trichinella.

Weltweit verbreitet konnten neben Trichinella spiralis, dem für den Menschen wichtigsten pathogenen Vertreter, weitere verwandte Fadenwurmarten nachgewiesen werden.

Bei breitem Wirtsspektrum besteht in Mitteleuropa – wie ehemals auch im Herzogtum Braunschweig – bei Trichinella spiralis sowohl ein „silvatischer“ (Wildschwein, andere Wildtiere) als auch ein „domestischer“ Zyklus (Hausschwein).

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden „Muskeltrichinen“ erstmals erkannt und als mikroskopisch kleine Faden-/Rundwürmer in menschlichen Skelettmuskeln identifiziert.

Wenige Jahrzehnte später konnten der zoologische Lebenszyklus mit den beiden Entwicklungsstufen „Muskeltrichine“ und „Darmtrichine“ sowie der parasitäre Infektionskreislauf des Eingeweidewurms entschlüsselt werden.

Auf den „Fehlwirt“ Mensch wird Trichinella spiralis durch den Verzehr von rohem oder halbrohem, unzureichend erhitztem oder nicht ausreichend konserviertem Fleisch übertragen, in welchem sich eingekapselte, intrazellulär lebende Trichinella-Larven (Trichinellen, Trichinen) befinden.

Im Speisebrei des oberen Verdauungstraktes durch Kapselauflösung freigesetzt, vollziehen die Larven binnen weniger Tage im oberen Dünndarm ihre Geschlechtsreife und werden zu fortpflanzungsfähigen männlichen und weiblichen „Darmtrichinen“.

In dieser Phase führen sie klinisch vornehmlich zu Schwindel, Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall.

Etwa 4-10 Tage nach der Begattung legt das Weibchen eine Vielzahl lebend geborener „Jungtrichinen“ ab, die das Epithel des Dünndarms besiedeln.

Nach etwa 20 Tagen durchdringen sie in der Invasionsphase direkt die Darmwand und werden als „Wandertrichinen“ über Lymphgefäße und den Blutkreislauf im Körper verbreitet.

Dabei treten weitere klinische Symptome auf, wie Mattigkeit, Fieber und Gesichtsschwellungen.

Als unentwickelte „Muskeltrichinen“ erreichen sie auch das quergestreifte Muskelgewebe, wo schließlich typische augenförmige Bindegewebskapseln entstehen.

Selbst bei späterer Kalzifizierung der Kapselwände können die spiralig aufgerollten „Muskeltrichinen“ jahrzehntelang potentiell übertragungsfähig überleben.

Neben der Skelettmuskulatur kann Trichinella spiralis auch in andere Organe einwandern.

Werden von einem neuen Wirt die hochinfektiösen Trichinenkapseln mit den encystierten Trichinella-Larven durch Fleischverzehr aufgenommen, kann es zur Infektion mit den Larven kommen, womit sich der Entwicklungszyklus von Trichinella spiralis schließt.

 

Darm- und Muskel-Trichinose

Die Menge oral aufgenommener Trichinella-Larven bestimmt die Dauer der Inkubationszeit von zumeist 5-14 Tagen (in Einzelfällen bis zu 45 Tage).

Bei starkem Befall treten bereits nach 1-7 Tagen klinisch typische Magen-Darm- und Augensymptome auf (enterale Phase: „Darm-Trichinose“).

Muskuläre Symptome können ab dem siebten Tag beginnen (Muskelphase: „Muskel-Trichinose“), bei leichtem Befall ab dem 14.-30. Tag nach der Infektion.

Zwischen dem siebten und elften Tag streuen die Larven in das Gewebe.

Abhängig von der aufgenommenen Larvenlast und der Immunitätslage des betroffenen Menschen ist der klinische Verlauf unterschiedlich.

So gibt es klinisch unauffällige (asymptomatische) und temporär symptomatische Verläufe bis hin zu fulminant oder gar tödlich verlaufenden Infektionen.

Das klinische Bild ist mannigfaltig und wird früh von einer Darm- und Muskelsymptomatik geprägt (intermittierend hohes Fieber, Schüttelfrost, Übelkeit, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, generalisierte Muskelschmerzen, Durchfälle, kollaterale Ödeme insbesondere im Gesichtsbereich).

Bei 3-6 Wochen nach der Infektion hauptsächlich auftretenden kardiologischen und neurologischen Komplikationen kann Lebensgefahr bestehen.

Die Symptome der akuten Verlaufsform klingen etwa nach 4-6 Wochen ab, jene bei schwerer Erkrankung oft erst nach Monaten, können aber auch über Jahrzehnte hin anhalten.

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts endete der Krankheitsverlauf in etwa 30 % der Fälle innerhalb der dritten bis sechsten Woche durch eine Störung der Atmung tödlich.

Labordiagnostisch ist der direkte mikroskopische Larvennachweis im Venenblut 7-10 Tage, in ungefärbten Skelettmuskelbiopsien ab dem 10. bis 20. Tag nach der Infektion möglich, der indirekte, serologische ab der zweiten bis dritten Krankheitswoche (Antikörper-Nachweis).

 

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[1] OSTERTAG 1903.