Die "Zwanziger Jahre"

Klaus A.E. Weber

 

Nur wenig „golden“ - aber ein chaotisches Durcheinander

Die oft schwärmerisch und unreflektiert kritiklos bemühten „Goldenen Zwanziger“ - die in Niedersachsen allerdings nur recht wenig davon zeigten - währten in Weimarer Republik nur eine kurze Zeit: etwa 1923-1929.

 

Die Goldenen Zwanziger [2]

Wie glänzend waren diese Jahre der Goldenen Zwanziger wirklich?

Wie gross sind die Parallelen zu den heutigen Zwanzigern?

 

1923 - Große Risse gehen durch Deutschland

In seiner Besprechung des 2022 erschienenen Buches von Christian Bommarius "Im Rausch des Aufruhrs" Deustrschland 1923" verweist WIDMANN [2] auf dessen "Grundarkkord" beim zerrissenen Deutschland hin:

 

Inflationserleben um 1923 - historische Teuerung

"..., die Millionen Deutschen ihre Ersparnuisse wegnimmt, den Staat aber saniert.

In einem Land, in dem ein Laib Brot im Januar bereits unglaubliche 250 Mark kostete, im Dezember aber 399 000 000 000 Mark, waren Markschulden ein gutes Geschäft.

Bommarius schreibt: 'Die gesamten Kriegsschulden des Staates sind Mitte November von 164 Milliarden Mark auf 16,4 Pfennige geschrumpft'."

Zwar zerstörte die Inflation den Wert des Geldes und große Teile der Wirtschaft, aber "schuf an einigen Stellen auch Reichtum und Arbeitsplätze".

Somit traf die Inflation zwar jeden, "aber doch nicht jeden gleich".

 

Geografische Zerrissenheit und Separatismus

Hierbei ist einerseits die "Ruhrbesetzung" durch Frankreich vom 11. Januar 1923 bis zum 25. August 1925 zu benennen, andererseits die wiederkehrenden Unabhägigkeitsbestrebungen ganzer Regionen im restlichen Deutschland.

 

"Klassenkampf", einhergehend mit Morden, Putsch und Aufstandsversuchen

Den so genannten Klassenkampf kennzeichneten Auseinandersetzuugen "zwischen rechts und links".

 

WIDMANN [2] konstatiert:

"Die Weimarer Republik wurde nicht von den Nazis zu Fall gebracht.

Sie wurde ihnen von Franz von Papen und Paul von Hindenburg zum Fraße vorgeworfen."

 

20. Jahrhundert

֍ Frauen in den Zwanzigern

 

Modetanz Charleston

Charleston - der Tanz der 1920er Jahre

So wenig sie einander mögen, so wenig halten sie offenbar vom Dasein, denn sie suchen sich krampfhaft und mit den größten Anstrengungen ihrer Körper zu entledigen.

Zuerst möchten sie Arme und Beine wegwerfen, aber es will nicht gelingen.

Gleich darauf geht dieser Hass gegen das Leben auf den Körper selbst über, den sie schütteln, als wäre er eine reife Frucht und als erwarteten sie jeden Augenblick, dass sie vom Ast falle.“ [4]

 

Mythos "Zwanziger Jahre"

In einem in der Frankfurter Rundschau zum Jahresbeginn 2020 veröffentlichten Interview von Jan Sternberg mit dem Zeithistoriker Martin Sabrow zu den "goldenen Zwanzigern", wird der Frage nachgegangen, "welche Parallelen es zwischen den 1920er und den 2020er Jahren gibt - und was der Vergleich lehrt".

Hieraus einige ausgewählte Textpassagen [1]:

"... Die zwanziger Jahre sind ein im Nachhinein geschaffener Mythos, der eine Facette der Weimarer Republik hervorhebt und medial inszeniert.

Die zwanziger Jahre leben vom Kontrast zwischen den tristen Folgen des Ersten Weltkriegs und dem Glamour der kulturellen Avantgarde und des urbanen Amüsement.

Dieser Gegensatz ist das Leitmotiv des Jahrzehnts, das kommt in Bildern von George Grosz grell und leitmotivis ch vor - die Krüppel, die Prostitution, das Elend, der Schieber, die überhitzte Stimmung, das Fiebrige, der Tanz auf dem Vulkan.

In ihm steckt der Eindruck der Diskontinuität, des Abreißens, des unwiederbringlichen Verlusts mit dem Beginn von Hitlers Herrschaft.

... Die Goldenen Zwanziger beginnen als Epoche mit der wirtschaftlichen Scheinblüte nach dem Ende der Hyperinflation 1923 und enden eigentlich schon in der Wirtschaftskrise ab 1929.

Die Fieberhaftigkeit dieser Epoche kommt auch daher, dass sich die Zeitgenossen bereits bewust waren, dass die Blüte kurz sein würde, dass sich die Epoche quasi selbst verzehrt.

Das Bild der 20erJahre hat das Element der Scheinblüte in sich.

Man tanzt Charleston, während draußen das Land von Krise zu Krise taumelt und der politische Mord die Szenerie beherrscht.

... Die Gewalt zog sich durch die ganzen zwanziger Jahre, aber sie hatte unterschiedliche Ausprägungen.

Am Ende standen die Straßenschlachten zwischen SA und Kommunisten, am Anfang standen der Kapp-Putsch und die politischen Morde durch Rechtsterroristen an demokratischen Politikern.

Der Zentrumspolitiker und frühere Finanzminister Matthias Erzberger wurde 1921 ermordet, Reichsaußenminister Walter Rathenau 1922.

Attentate und Putschversuche waren ein genuiner Teil der gewalttätigen politischen Kultur Weimars.

Die Enttäuschung über den Versailler Vertrag vom Juni 1919 führte zu dem Umschwung vom revolutionären Erneuerungswillen des Winters 1918/19 zur restaurativen Empörung über den sinnlos bezahlten Preis eines verlorenen Weltkrieges.

Auf diesem Boden gediehen die rechtsextremen Verschwörungstheorien, die dann das Nachkriegsjahrzehnt prägen. ..."

 

Tanz auf dem Vulkan

Hyperinflation - Wirtschaftliche Scheinblüte - Wirtschaftskrise

Während der Phase permanenten Wachstums bestanden große Versorgungslücken, nicht zuletzt auch in der Landwirtschaft.

So lagen 1920 die Hektarerträge bei den zentral wichtigen Nahrungsmitteln Roggen und Kartoffeln unterhalb derjenigen von 1900.

Von einer internationalen Wettbewerbsfähigkeit war die niedersächsische Landwirtschaft noch weit entfernt.

Bereits während der Phase der landwirtschaftlichen Erholung verfielen aber Ende der 1920er Jahre rasch die Agrarpreise, nicht zu letzt ausgelöst durch ein Überangebot auf den internationalen Agrarmärkten und die „Weltwirtschaftskrise“, die 1929 auch Deutschland schwer traf.

Der „Schwarze Donnerstag“ vom 24. Oktober 1929, in Deutschland auf Grund der Zeitverschiebung „Schwarzer Freitag“ genannt, ging in die Finanzgeschichte als besonderer Tag des Börsenabsturzes an der Leitbörse der Welt ein, der New York Stock Enchange.

Die unvorstellbare Zahl von 12.894.650 Millionen Aktien wechselten an diesem Tag ihre Besitzer.

Der „Schwarze Donnerstag“ folgte dem „Scharzen Montag“ (21. Oktober) und ging dem „Schwarzen Dienstag“ (29. Oktober) voraus, dem dunkeltsten aller dunklen Börsentage im Herbst jenes Jahres.

Die „Goldenen 1920er Jahre“ verabschiedeten sich entsprechend mit einem „Börsencrash“.

Allerdings endete erst drei Jahre später, am 08. Juli 1932, die Vernichtung der großen Börsenvermögen.[9]

Bereits 1923 hatte eine schwere Inflation die Geldvermögen vernichtet.

So kostete im Mai 1923 ein Liter Milch 750 Mark und ein Pfund Butter 8.400 Mark, im Juli aber bereits über 200.000 Mark gegenüber 1,20 Mark vor dem Ersten Weltkrieg.

Daher wurde 1923/1924 eine Währungsreform durchgeführt und am 15. Oktober 1923 die „Mark“ durch die „Rentenmark“ ersetzt (1 Billion Mark = 1 Rentenmark).[10]

Diese Reform erbrachte zunächst ein langsames Wirtschaftswachstum, welches aber für viele niedersächsische Betriebe durch die Weltwirtschaftskrise und den „Börsencrash“ von 1929 eine Produktionseinstellung nach sich zog.

Die Arbeitslosigkeit nahm daher erneut wieder dramatisch zu.

Der Erwerbsanteil der niedersächsischen Bevölkerung in der Landwirtschaft lag zur Mitte der 1920er Jahre immer noch bei 38,5 %.

Das Heimgewerbe verlor demhingegen seine ehemals hohe Bedeutung.[11]

Die auch heute noch gut erkennbare enge Verknüpfung von landwirtschaftlicher Großproduktion mit kalt kalkulierender kapitalistischer Gewinnmaximierung hat durchaus historische Dimensionen.

Wie später in der nationalsozialistischen Autarkiepolitik, so waren bereits auch in der Weimarer Republik politische einflussreiche Großagrarier bewusst darauf bedacht, die Landwirtschaft vom Weltmarkt fernzuhalten.

Hieraus entstand ein Anpassungsrückstand gegenüber modernen Produktionsformen.[12]

Im Jahr 1925 waren nur noch 22,1 % der Bevölkerung im damaligen Kreis Holzminden in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt, gut 50 Jahre zuvor, 1871, waren es noch 42,5 % gewesen.

Dem hingegen stieg die Beschäftigtenzahl in Industrie und Handwerk von 40,3 % (1871) auf 46,6 % an, die im Handel und Verkehr von 8,5 % auf 12,6 %.[13]

Mit dem Aufstieg Hitlers (1889-1945) sollten bald schwerste Jahre von „Blut und Boden“ im Nationalsozialismus von 1933-1945 folgen,

  • tiefste in die Geschichte eingekerbte Jahre einer dem Kapital dienenden Zerstörung

  • Jahre ideologischer Intoleranz, gepaart mit Propagandalügen, Gewaltexzessen und Morden

  • von politischer wie Kriegsgefangenschaft

  • Konzentrationslagern und Zwangsarbeit

  • Jahre eines unvorstellbaren, millionenfachen Völkermordes

  • Jahre der gezielten physischen wie psychischen Menschenvernichtung.

 

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[1] SABROW 2020.

[2] Blog-Artikel des Schweizerischen Nationalmuseums vom 10. September 2021 von Andrea Weidemann, Leiterin des Schweizer Finanzmuseums.

[3] WIDMANN 2022.

[4] Zitiert bei Arno Widmann. In: Frankfurter Rundschau. 78. Jg. Nr. 116, 19. Mai 2022, S. 29.

[9] ALBRECHT-HEIDER 2004.

[10] RAULS 1983, S. 197.

[11] HAUPTMEYER 2004, S. 117 f.

[12] HAUPTMEYER 1995.

[13] TACKE 1943, S. 27.